Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
Kragen.«
Die Frauen beobachteten, wie die Männer die Büchse in Position schoben, das Pulver feststopften und die eiserne Kugel in den Lauf luden. Das dauerte! Endlich schien der Büchsenmeister zufrieden. Er überprüfte noch einmal die Ausrichtung des Laufs, dann gab er den Feuerbefehl, und die brennende Lunte senkte sich herab. Elisabeth sah die Männer, die sich im Rathaus verschanzt hatten, panisch von den Fenstern zurückweichen. Ihre Schreie gingen im Donner der Kanone unter. Elisabeth presste sich die Hände auf die Ohren, doch der Geschützdonner war nicht nur zu hören. Das dumpfe Rollen pflanzte sich über den Boden fort und ließ den Körper erzittern.
Der Schuss traf die Tür fast genau in der Mitte, was aus dieser Entfernung nun auch keine allzu große Kunst war; dennoch benötigte der Büchsenmeister noch einen weiteren Schuss, bis die Barrikade im Innern zusammenbrach, sodass die Würzburger ins Rathaus stürmen konnten.
Den abtrünnigen Domherren und ihren Verbündeten war vermutlich bereits, als die Büchse in Sicht kam, klar gewesen, dass sie das Rathaus nicht würden halten können. Gret stieß Elisabeth in die Rippen.
»Sieh mal, da versuchen sich ein paar aus dem Staub zu machen.«
Als sich der Pulverdampf des ersten Schusses ein wenig verzog, sah auch sie, was Gret entdeckt hatte. Drei Männer in langen Roben krochen aus einem schmalen Fenster und dann über die steile Dachfläche zum angrenzenden Haus des Bürgers Hagen.
»Wir müssen es der Würzburger Mannschaft sagen. Sie entkommen sonst noch!«
Elisabeth hielt sie zurück. »Du wirst nicht dort hinausgehen, solange sie aus der Büchse schießen. Es sind dort draußen dreihundert Männer. Sie werden die paar Domherren schon erwischen, auch ohne dass du dich in Gefahr begibst.«
Gret funkelte sie an, gehorchte aber. »Du bist ja nur neidisch, dass dich dein Bruder nicht mit hinausgehen lassen würde.«
Elisabeth lächelte schwach. »Vielleicht. Vielleicht will ich aber auch nicht die Schuld auf mich laden, dass sie die Flucht der Chorherren durch unsere Hilfe bemerken und sie in ihrem Zorn in Stücke reißen.«
»Du würdest ihnen helfen zu entkommen?«, empörte sich Gret.
Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht. Ich stehe nicht auf der Seite der Abtrünnigen. Aber ich will auch nicht Schicksal spielen.«
»Du willst dich also nur aus allem heraushalten und an nichts die Schuld tragen. Weißt du, wie ich das nenne?«
Elisabeth stöhnte. »Feige? Ach Gret, urteile doch nicht so hart. Gibt es denn nur Gut und Böse? Nur Schwarz oder Weiß? Hast nicht du mir genau dies vorgeworfen? Rührt es nicht aus dieser Haltung her, dass sie nun – statt sich durch Verhandlungen und Kompromisse wieder zu vertragen – mit Kanonen aufeinander schießen?«
Gret überlegte. »Du kannst nur auf der Seite des Pflegers
Albrecht oder auf der des Bischofs stehen. Beides geht nicht. Solange sie sich nicht einigen können, ist dies auch für ihre Anhänger unmöglich. Und mir geht es da wie den meisten Würzburger Bürgern: Ich kann keinen Vorteil für uns erkennen, wenn der Bischof wieder an die Macht kommt. Ganz im Gegenteil, ich sehe für diesen Fall viel Leid auf uns zukommen.«
Elisabeth seufzte. »Ich kann dir leider nicht widersprechen. Was ich allerdings nicht verstehe, ist, wie Albrecht sich in diese Lage hineinmanövrieren konnte. Hätte er nicht diesen unglückseligen Vertrag gesiegelt, wäre dies alles nicht so weit gekommen. Es passt so gar nicht zu seinen Überzeugungen, und mein Vater hatte doch kein Druckmittel mehr gegen ihn in der Hand!«
Gret nickte. »Ja, das ist wirklich seltsam. Wie wäre es, wenn du zum Marienberg reist und ihn danach fragst?«
»Das ist nicht dein Ernst!«
Gret hob die Schultern. »Warum nicht?«
Kapitel 21
A ls am Abend die Tore geschlossen waren und ganz
Ochsenfurt noch einmal gründlich durchsucht wurde, stand fest: Vier der abtrünnigen Domherren waren ihnen entwischt. Der Dechant ließ Reiter aussenden und Erkundigungen einziehen. Vielleicht glaubte er auch, die Entflohenen einholen zu können, doch wenn dies seine Hoffnung gewesen war, wurde sie enttäuscht. Demetrius von Siech, Hans von Thunfeld, Rudolph von Scherenberg und Anthoni Dienstmann entkamen nach Karlstadt, wo sie freundliche Aufnahme fanden, denn die Stadt stand auf der Seite des Bischofs.
Dennoch konnten die Würzburger mit dem Verlauf der Ereignisse an diesem Tag zufrieden sein: Es war ihnen gelungen, den anderen
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