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Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Töchter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Hall
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Aber fad wie Grütze.
    In der Festhalle versuchte sich Johnnie am Schießstand, während Ivy sich bemühte, ein billiges Parfum aus den Greifarmen der Slotmaschine zu ergattern, das wenige Sekunden, bevor sie seiner habhaft werden konnte, aus den Greifarmen fiel. Sie stöhnte.
    Einige der netten jungen Männer zeigten Interesse an Aurelia und wollten wissen, wer sie eigentlich sei. Ihre Lippen kamen Aurelia viel zu nah, als sie ihr Belanglosigkeiten zuflüsterten – doch sie waren leider überwiegend nichtssagend und ziemlich geistlos. Zumindest empfand Aurelia das so. Diese Männer glichen einander wie ein Ei dem anderen. Und Aurelia verhielt sich auch allen gegenüber gleich. Sie perfektionierte ihren herablassenden Blick, ihr lässiges Schulterzucken, die abschätzig hochgezogene Augenbraue – eine Geste, die niemand mit Flirten verwechseln konnte.
    Sonia war scharf auf die Autoscooter; Aurelia zog es zur Geisterbahn. Sie wollte sich grausen, wollte wachgerüttelt werden.
    Humphrey Staines, einer der netten jungen Männer, schrieb für sie ein Gedicht, in dem er sich nach einem sanften Blick aus ihren stählernen Augen sehnte.
    »Wie aufregend, ein stählernes Auge zu haben!«, sagte Ivy, als Aurelia ihr davon erzählte.
    Aurelia hatte sich daraufhin im Spiegel betrachtet und erkannt, dass Ivy sich weniger nach einem stählernen Auge sehnte, sondern alles Erdenkliche für ein ihr gewidmetes Gedicht geben würde. Arme, gutbürgerliche Ivy – zu groß, zu dünn, zu verzweifelt.
    Aurelia war nicht gerade begeistert. Als Humphrey sie zum Foxtrott aufforderte, regte sich nichts in ihr. Sie roch nur seinen nach Tabak stinkenden Atem und spürte den Druck seiner feuchten Hand an der Taille, was ihr das Gefühl gab, erneut gefangen zu sein und flüchten zu müssen. Was stimmte nicht mit ihr? Wartete sie auf etwas, was es gar nicht gab? Hatten die Erzählungen ihrer Großmutter über die flüchtige Freiheit vor dem Krieg sie in irgendeiner Weise für die zu erwartende Normalität verdorben?
    In Brighton hingegen schien alles möglich zu sein. Sonia bestand darauf, die Zigeunerin Rose Lee aufzusuchen. Aurelia war die letzte Kundin. Das Licht war schummrig.
    »Jung und so hübsch«, sagte die Frau mit dem roten Schal zur Begrüßung. Ihr Haar war rabenschwarz, ihre Augen leuchteten grün wie das Meer vor Sussex; schwerer goldener Schmuck zierte ihre Finger und Ohren. Als die Zigeunerin in die Kristallkugel blickte, merkte Aurelia, dass sie auf deren blau schimmernde, halb geschlossene Augenlider und den großen, scharlachroten, lächelnden Mund starrte. Aurelia überkam das Verlangen, aus der Kabine zu rennen. Das Ganze war so albern. Was würde diese Frau ihr über ihre Zukunft erzählen können? Wie sollte jemand etwas darüber wissen?
    »Dir wird ein dunkelhaariger Fremder begegnen«, sagte sie.
    Aurelia konnte gerade noch einen Lachanfall unterdrücken.
    »Hier in Brighton.« Die Frau ließ nicht locker. »Hüte dich! Du wirst dein Herz an ihn verlieren. Und du wirst dafür bitter bezahlen.«
    Bitter bezahlen? Lächerlich! Aurelia verließ die Kabine.
    Später aalten sie sich alle neben dem weiß gestrichenen Geländer in den Liegestühlen, aßen Eiscreme, genossen den Blick aufs Meer und den Strand. Entlang der Kings Road standen einige der elegantesten Gebäude, und viele der großen Hotels hatten den Krieg zum Glück überlebt. Allein hier zu sitzen und die Sonne auf dem Gesicht zu spüren erfüllte sie mit neuer Zuversicht.
    »Was hat sie gesagt? Was hat sie dir prophezeit?«, fragte Ivy.
    »Sie hat mir gesagt, ich würde eine Reise machen.«
    »Richtig«, sagte Johnnie lachend, »zurück nach Hertfordshire.«
    Aurelia wollte das Fernglas nicht an Ivy zurückgeben. Sie stellte die Linse auf den Schauspieler auf der Bühne ein. Er besaß eine ganz besondere Ausstrahlung. Seine tiefe Stimme durchquerte den Saal und schien geradewegs in ihr Herz zu treffen. Kaum blickte er in den Zuschauerraum, meinte Aurelia, sein intensiver Blick gelte ihr allein. Als er auf die linke Bühnenseite ging, beobachtete sie seine Bewegungen, und in ihr regte sich der sehnliche Wunsch, an seiner Seite zu gehen. Ein Schauder erfasste ihren Körper. Ihr dunkelhaariger Fremder. Nein. Er war in keiner Weise gewöhnlich.
    Ja … Aurelia hatte die Fähigkeit entwickelt, der Oper sowohl zu lauschen als auch nicht. Sie weigerte sich, Enricos Erklärungen zum Handlungsablauf zu folgen, ließ die Worte an sich abprallen und lauschte nur den

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