Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest
werde um zehn Uhr dort sein, Mr. Wintermore.«
Er legte auf und sah sich im Zimmer um. Ob er je wieder Grund haben würde, im Hotel Birdline zu wohnen? Es lag zwar zentral, aber nachts war es manchmal gräßlich, wenn die Leute an die falschen Türen hämmerten, einander im Flur anschrien und fürchterlich prügelten, bis die Sirenen heulten. Aber es war billig und verhältnismäßig sauber; außerdem bekam er immer ein Zimmer, ganz gleich ob Saison war oder nicht. Die Hotelleitung verrechnete auch nichts für die Aufbewahrung jener persönlichen Habseligkeiten, die er nicht mitnahm, wenn er rund um den Erdball reiste, um wohltätige Aufträge auszuführen, Investitionen zu tätigen und Unterstützungen auszuzahlen.
Er trug seine Koffer hinunter zur Rezeption. Die Magenschmerzen erinnerten ihn daran, daß er das Mittagessen vergessen hatte. Hoover Hess, der Besitzer, saß hinter dem Pult. Er war ein dicker, kurzatmiger, ungepflegter Mann, der ständig so aussah, als würde man ihm gerade bei vollem Bewußtsein das Bein abnehmen. Sein Lächeln war besonders qualvoll. Seine Hypotheken waren schon bis zum siebenten Rang geklettert und bestenfalls bis zum zweiten hinuntergegangen. Der Durchschnitt lag etwa beim vierten Rang.
Er lächelte. »Hallo, Kirb, die Geschichte mit Ihrem Onkel tut mir höllisch leid. So geht es manchmal. Peng! Und schon ist man dahin, noch ehe man Zeit hat umzufallen. Wie alt war er?«
»Er wurde vor kurzem siebzig, Hoover.«
»Sie haben es jetzt wohl geschafft, was?«
»Nicht ganz. Ich ziehe aus. Ich bin dann drüben am Strand im ›Elise‹.«
»Ich hab's ja gesagt! Nehmen Sie eine Suite? Warum nicht? Genießen Sie's, Kirb. Lassen Sie Frauen kommen und Schneider, und trinken Sie die guten Jahrgänge!«
»Ich wurde eingeladen, Hoover.«
»Klar. Bis die rechtlichen Dinge geregelt sind und Sie den Packen bekommen. Ich versteh' schon. Mir tut es leid, daß ich einen guten Kunden verliere. Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, Kirb. Wenn Sie den Packen kriegen, setzen wir uns zusammen, und ich zeige Ihnen die Bücher von dem Kasten da. Ich kann mir vorstellen, daß Sie die Hypotheken konsolidieren. Das wäre die richtige Investition für Sie.«
»Ich habe wirklich nichts, das ich investieren könnte, Hoover.«
»Ich weiß, wie das läuft. Sie müssen sich ja eine Antwort zurechtlegen. Jeder Clown kommt Ihnen mit heißen Tips, aber mich kennen Sie schon lang, nicht wahr? Hoover Hess brauchen Sie keinen Korb zu geben. Ich kenne Sie sehr gut, Kirb. Sie machen es genau richtig. Ruhig und ohne Aufsehen. Gab nie 'n Aufsehen mit Ihren Frauen, stimmt's?«
»Aber ich habe nichts ...«
Hoover Hess winkte mit seiner blassen, sommersprossigen Hand ab. »Schon gut. Sie sind schlau. Das ist Ihre Masche. Die eine, die ich damals gesehen habe, das war eine Lady. Brille ist immer gut, Schuhe ohne Absätze und angezogen wie eine Lehrerin. Da läßt sich so mancher täuschen. Aber Sie nicht, Sie haben sie beobachtet, wie sie geht, das war wirklich Klasse! Mit hochgerecktem Kinn ist sie zu unserem schäbigen Lift gegangen und hat dabei mit ihrem kleinen runden Hintern so süß hin- und hergewackelt.«
Kirby begriff plötzlich, daß Hess von Miss Farnham sprach, Wilma Farnham. Sie war die einzige außer ihm, die zu Onkel Omars geheimem Schenkungsprogramm gehörte. Sie fungierte als Ein-Frau-Zeitungs-ausschnittdienst, führte die Akten, übersetzte fremdsprachige Artikel und war Onkel Omars geheimem Programm treu ergeben. Sie hatte den Job seit sechs Jahren gehabt. Ihr kleines Büro lag weit von den Bürogebäuden von Krepps Enterprises entfernt. Kirby hatte seine Berichte stets an dieses Büro geschickt. Das Geld wurde über dieses Büro disponiert. Onkel Omar hatte bei den von ihr ausgegrabenen Projekte in groben Zügen Prioritäten gesetzt. Kirby und Miss Farnham arbeiteten die Einzelheiten aus. Wenn er in der Stadt war, dann saßen sie abends oft zusammen und konferierten in seinem Zimmer im Birdline über laufende und zukünftige Aufgaben. Ihr lagen die Gesundheitsprojekte stets sehr am Herzen, die Krankenhäuser im Busch, Dorfambulanzen, Kinderernährungsprogramme. Kleine Unternehmer in Schwierigkeiten schienen ihr fragwürdig, und Kirby hatte immer das Gefühl, daß sie ihn für zu leichtgläubig hielt. Sie hatte Onkel Omar verehrt. Kirby bekam ein schlechtes Gewissen, weil er erst jetzt zum ersten Mal nach seiner Rückkehr darüber nachdachte, was aus ihr werden sollte. Aber vor ihm stand Hoover Hess
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