Das Schwein unter den Fischen
Reiner kniet vor ihr nieder und singt »Hello again« von Howard Carpendale, ohne auch nur einen einzigen richtigen Ton zu treffen. Die Leute an den anderen Tischen sind nur zum Teil amüsiert. Blanco, der heute extra seinen hellgrauen, im Internet ersteigerten Frank-Sinatra-Anzug trägt, stürmt mit einer Magnum-Flasche Lambrusco aus der Küche und ruft: »Sie lag ein Jahr im Koma! Liebe ist groß!«
Eine Frau, die ein bisschen aussieht wie Ramona in schnieke, johlt und klatscht Beifall.
Ramona juchzt und tut so, als kämen ihr die Tränen. Blanco schenkt Lambrusco ein.
Reiner bestellt wie immer die Managerlasagne mit vier verschiedenen Sorten Fleisch und einer Soße aus Schweineblut und Milch. Als der Teller schließlich vor ihm steht, macht er ein Gesicht wie ein Kind vor einem Pfefferkuchenhaus.
Tante Trixi kriegt zwei Dutzend Koteletts mit Mangognocchi und Wodkakurkumasahnesoße. Sie und Reiner sagen gleichzeitig:
»Was kann uns besser nähren als fremde DNA!«
Sie fallen sich um den Hals und verdrücken eine Träne, bevor sie beginnen, alles schweigend und schmatzend in sich reinzuschaufeln.
Dr. Ray hat ein Gericht namens »Rabiosa« ohne Sättigungsbeilage bestellt: gegrilltes Schweinefilet in Arrabiata bestreut mit reichlich gehackten Habaneros. Das nehme ich auch und verbrenne mir den Gaumen, während er genüsslich isst und immer wieder betont, sein Stoffwechsel sei auf Hochtouren, und er nehme gerade ab, während er esse. Ramona bekommt ihre Minestrone Speziale mit Grappa aufgegossen. Chefköchin Norberta kommt aus der Küche, erkundigt sich, ob alles in Ordnung ist, und massiert Tante Trixi den Nacken. Dabei strahlt sie unverdrossen, denn sie hält uns für eine glückliche Familie, weil wir zusammen an einem Tisch sitzen. Ramona bleibt heute erstaunlich nüchtern. Sie baut einen Hügel aus Olivenkernen vor sich auf, nagt an einem Hühnerbein, kaut lange mit offenem Mund und spuckt dann geräuschvoll eine Sehne aus. Sie salzt wie immer ordentlich nach. Irgendwann wird sie vielleicht austrocknen, wie ein See versickern. Ich lege mein Besteck hin und warte aufs Dessert. Zu der großen Sahnetorte gibt es noch eine Magnumflasche Lambrusco. Nachdem Blanco eingeschenkt und die Stücke verteilt hat, fängt Tante Trixi plötzlich an, zu viel und zu laut zu reden – wie immer. Ich bin mir sicher, dass ihre Depression in letzter Zeit ohnehin mehr Show als Zustand war. Man ließ ihr alles durchgehen. Jetzt hat sie es auch noch geschafft, dass sie mit uns in den Urlaub darf. Reiner stochert in seiner Torte und scheint genaudas Gleiche zu denken wie ich. Reiner hat uns Tante Trixi in Italien eingebrockt. Und Tante Trixi, überaus heiter, berichtet uns von einer Drehbuchautorin, die schon dreimal angerufen habe. Man wolle die Geschichte von Eva Evangelista fürs Fernsehen verfilmen. Als Dokufiction! Natürlich fürs Spätprogramm.
Tante Trixi betont, dass ihre Geschichte nicht für die beste Sendezeit taugt:
»So soll man leben, frei ab achtzehn«, ruft sie und schenkt Lambrusco nach.
Ramona verzieht das Gesicht. Als sie mit dem Essen fertig ist, holt sie ihren großen, roten Parfümflakon
Hypnotic Poison
aus der Tasche, besprüht ihre Hände, zündet sich eine Menthol an und verschwindet dann unterm Tisch, um zu telefonieren. Ich beuge mich runter und ziehe die Tischdecke hoch. Sie hält die Hand vors Telefon:
»Was starrst du so blöd? Hab ich was im Gesicht? ’Ne Nase vielleicht? Ich seh das, Kindchen, ich seh deinen Blick. Gibt’s ein Problem oder was?«, brüllt sie mich an.
»Mit wem musst du denn jetzt so dringend telefonieren?«
»Wen geht das was an?«
Reiner kommt von der Toilette:
»Ist irgendwas?«
»Was weiß ich«, sage ich und streiche die Tischdecke glatt.
Außer uns sind fast alle Gäste weg, nur die Frau, die aussieht wie Ramona in schnieke, knutscht im Séparée mit ihrem jüngeren Freund. Tante Trixi und Blanco koksen in der Küche, Dr. Ray tanzt alleine zu »Lose Yourself« von Eminem. Irgendwann tanzen alle außer mir zu »Dirty« von Christina Aguilera. Ich zünde mir eine von Reiners Mentholzigaretten an.
Blanco setzt sich neben mich und fragt:
»Was macht die Liebe?«
»Nichts«, antworte ich.
»Irgendwann hast du mir viel zu erzählen, die Liebe holt sich jeden von uns!«
»Redest du eigentlich so geschwallert, weil du Italiener bist?«
»Oh, so ein freches Mädchen wie du kriegt mal viel Liebe, aber vielleicht keine Hochzeit!« Blanco grinst verzückt.
»Oma Senta
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