Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
Cillverne«, begrüßte er den zweiten Zauberer, der hinter dem Hohen Lord den Raum betrat.
Cillverne nickte ihm kurz zu, verzichtete aber auf weitere Höflichkeitsformeln.
»Die Aufgabe lautete, einen Gegenstand ansehnlicher Größe nur durch Illusion zu verbergen. Was habt Ihr gewählt?«
»Meinen Stab mit dem Drachenkopf, den Ihr mir habt anfertigen lassen, Lord Vallaine.«
»Eine ausgezeichnete Wahl, Shanier. Ich nehme an, er befindet sich in diesem Raum?«
Shanier nickte.
»Braucht Ihr eine genauere Beschreibung, Cillverne, oder genügt Euch diese Auskunft?«, fragte Vallaine.
»Danke, Lord Vallaine, ich komme schon zurecht«, erwiderte Cillverne mit einem verächtlichen Unterton.
Er sah sich kurz im Raum um und ging dann geradewegs auf einen palmenähnlichen Miniaturbaum zu, der in der Ecke des Raums stand.
»Nicht besonders originell, Lord Shanier«, sagte Cillverne
mit einem triumphierenden Lächeln und streckte die Hand nach dem Stab aus, den er hinter dem, was er für das Trugbild einer Pflanze hielt, zu sehen glaubte.
Sein Lächeln war wie weggewischt, als er den Stamm der Pflanze berührte, um den vermeintlichen Stab aus dem Topf zu heben. Die Pflanze war echt, der Stab aber eine Illusion, eine so hervorragende allerdings, dass nur ein mächtiger Geist sie überhaupt sehen konnte.
Lord Vallaine lachte.
»Netter Trick, Lord Shanier. Sehr pfiffig. Den unvorsichtigen Cillverne konntet Ihr mit diesem Trugbild täuschen, aber ich kenne Euch etwas besser. Bitte Cillverne, versucht es noch einmal.«
Cillverne ärgerte sich, dass Shanier ihn zum Narren gehalten hatte, und bot all seine Kräfte auf, den Stab zu finden. Doch seine Bemühungen blieben ohne Erfolg. Er musste seine Niederlage eingestehen.
Lord Vallaine war zufrieden. »Sehr gut, Shanier, sehr gut. Euer Unsichtbarkeitszauber ist nahezu perfekt. Hier, Cillverne, er war die ganze Zeit direkt vor Eurer Nase.«
Vallaine ging zu einem kunstvoll verzierten Sofa und hob von den Kissen Shaniers Stab auf, der scheinbar aus dem Nichts Gestalt annahm.
»Eure Fortschritte sind sehr erfreulich, Shanier. Sogar ich hatte Schwierigkeiten, Eure Illusion zu entlarven. Ich möchte, dass Ihr heute Nachmittag übt, in den Geist anderer vorzudringen. Eure Aufgabe ist es herauszufinden, welcher Zauberschüler heute für den Schmuck in der Skulpturenhalle verantwortlich ist und welcher Taugenichts dafür gesorgt hat, dass der Springbrunnen alle paar Minuten ins Stottern gerät. Bringt mir die Namen bis zur fünften Stunde.«
Shanier verbeugte sich. »Jawohl, Lord Vallaine. Habt Dank.«
Cillverne konnte beim Abschied seine Abneigung kaum verbergen. Vallaine dagegen drückte Shanier im Hinausgehen gut gelaunt den Stab in die Hand.
Shanier blieb völlig teilnahmslos – bis die Tür hinter den beiden Zauberlords ins Schloss fiel. Dann schlich ein zufriedenes Lächeln über seine Züge. Einen Moment verharrte er regungslos und folgte mit Ohren und Geist den sich entfernenden Schritten. Als er sicher war, dass die beiden weg waren, warf er den Kopf zurück und brach in ein klirrendes Gelächter aus.
Der Stab, den Vallaine ihm gegeben hatte, löste sich in Wohlgefallen auf, und auf dem kleinen Tischchen in der Mitte des Raums tauchte aus dem Nichts das Original auf.
Die Sinneswahrnehmung beschränkte sich nicht auf den Gesichtssinn, und Shanier hatte soeben bewiesen, dass er auch den mächtigsten Zauberer dazu verleiten konnte, etwas, das gar nicht da war, nicht nur zu sehen, sondern sogar zu spüren. Dass nicht einmal Vallaine ahnte, wie viel Macht er bereits besaß, steigerte diese Macht noch.
Es wird interessant sein herauszufinden, was Vallaine damit bezweckt, dass er mich so fördert. Ich kann nur für ihn hoffen, dass es die Sache wert ist, dachte Shanier. Denn sonst wird er bald herausfinden, dass er sich ein mächtiges Werkzeug geschaffen hat, das er nicht kontrollieren kann. Hoher Lord des Inneren Auges – eine begehrte Stellung, die derjenige bekleiden sollte, der seine Kräfte am wirkungsvollsten einzusetzen weiß. Und das, überlegte Shanier mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, könnte eines Tages ich sein.
»Langsam, Eloise, langsam! Lass dich im Kampf nicht von deinen Gefühlen leiten. Du musst dich auf die Bewegungen deines Gegners konzentrieren. Wenn dein Ausfallschritt zu groß gerät, weil du wütend bist, dann überlebst du das nicht. Bleib ruhig. Konzentriere dich. Habe Geduld. Deine Schwertführung ist gut, du wirst immer
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