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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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ihr ein Blickfang – die Haare ein Haufen hochgebundener Dreadlocks, die Ohren mit, wie es aussah, echten Vogelknochen gepierct, und an jedem Finger steckte ein ausgefallener Ring.
    »Nicht sehr weit, Schätzchen«, antwortete der Stirnbandträger.
    »Nenn mich nicht ›Schätzchen‹«, gab sie zurück.
    »Ist das in Australien eine Beleidigung?«, fragte er.
    Sie seufzte und gab einen knurrenden Laut von sich.
    »Alles klar, Baby, dann werde ich dich eben nicht mehr ›Schätzchen‹ nennen.« Er kicherte in den Himmel. »Aber ich werde dich ›Baby‹ nennen, wann es mir passt. Wie Jimi Hendrix schon gesagt hat: ›Ich nenne alle Baby.‹«
    Stacy und ich tauschten einen Blick.
    »Wir wollten auch zu dem Gathering«, sagte ich. »Angeblich soll es hier sein.«
    »Wir wandern auf dem Pacific Crest Trail«, fügte Stacy hinzu.
    »Ich brauche was zu essen!«, schrie die Pennerin auf dem Felsblock.
    »Du kannst gern etwas von mir haben«, sagte ich zu ihr. »Aber das liegt da oben am See.«
    Sie sah mich nur ausdruckslos aus glasigen Augen an. Ich fragte mich, wie alt sie wohl war. Ich schätzte sie auf mein Alter, aber sie hätte auch als zwölf durchgehen können.
    »Habt ihr noch Platz in eurem Auto?«, fragte die Australierin in vertraulichem Ton. »Falls ihr zwei zufällig nach Ashland fahrt, würde ich mich gern anschließen.«
    »Wir sind zu Fuß unterwegs«, sagte ich und erntete dafür einen entgeisterten Blick. »Wir haben Rucksäcke. Wir haben sie oben am See gelassen.«
    »Und nach Ashland wollen wir tatsächlich«, sagte Stacy. »Aber dafür brauchen wir ungefähr zwölf Tage.« Wir beide lachten, aber sonst niemand.
    Sie drängten zurück in den Pick-up und fuhren ein paar Minuten später weg. Stacy und ich stiegen wieder den Pfad zum Toad Lake hinauf, und als wir oben ankamen, saßen die beiden Paare bei Rex. Gemeinsam machten wir uns auf den Rückweg zum PC t . Allerdings bildete ich, bedingt durch den katastrophalen Zustand meiner Füße, bald die Nachhut und humpelte am Abend, als es schon fast dunkel war, als Letzte ins Lager.
    »Wir hätten nicht gedacht, dass du es noch schaffst«, sagte Sarah. »Wir dachten, du hättest schon irgendwo dein Lager aufgeschlagen.«
    »Aber jetzt bin ich hier«, erwiderte ich gekränkt, obwohl ich wusste, dass sie das nur gesagt hatte, um mich zu trösten. Bei unserem fröhlichen Umtrunk in Castle Crags hatte Sam im Scherz gesagt, man sollte mir den Trail-Namen Pechmarie geben, nachdem ich ihnen von meinen verschiedenen Missgeschicken erzählt hatte. Damals hatte ich gelacht – der Name erschien mir ziemlich treffend –, aber eine Pechmarie wollte ich nicht sein. Ich wollte verdammt noch mal eine taffe Amazonenkönigin sein.
    Am Morgen stand ich vor den anderen auf, rührte leise in einem Topf mit kaltem Wasser mein Sojamilchpulver an und gab leicht ranzige Müslimischung und Rosinen dazu. Ich war wieder von einem Bigfoot-Traum aufgewacht. Er war fast mit den beiden ersten identisch. Beim Frühstücken ertappte ich mich dabei, wie ich aufmerksam den Geräuschen unter den noch dunklen Bäumen lauschte. Ich wanderte weiter, noch bevor die anderen aus ihren Zelten aufgetaucht waren, froh, einen Vorsprung zu haben. Obwohl erschöpft, langsam, fußkrank und vielleicht sogar vom Pech verfolgt, hielt ich mit den anderen mit – mit Leuten, die ich für richtige Wanderer hielt. Siebenundzwanzig bis dreißig Kilometer am Tag, und das täglich, waren ein Muss geworden.
    Nach ungefähr einer Stunde hörte ich ein lautes Krachen in den Büschen und Bäumen neben mir. Ich erstarrte, unschlüssig, ob ich schreien oder mucksmäuschenstill sein sollte. Ich konnte nichts dagegen machen: So albern es auch war, der Mann mit der Bigfoot-Maske aus meinen Träumen schoss mir durch den Kopf.
    »Ah!«, schrie ich, als wie aus dem Nichts plötzlich ein zottiges Tier auf dem Pfad stand, so dicht vor mir, dass ich es riechen konnte. Ein Bär, wie ich in der nächsten Sekunde begriff. Seine Augen streiften mich mit einem nichts sagenden Blick, bevor er schnaubend herumwirbelte und in Richtung Norden den Trail entlangtrabte.
    Wieso mussten sie immer in die Richtung rennen, in die ich wollte?
    Ich wartete ein paar Minuten und wanderte dann weiter, ängstlich und irgendwelche Liedfetzen singend. »Oh, I could drink a case of youuuu, and I would still be on my feet«, summte ich laut.
    »She was a fast machine, she kept her motor clean …!«, brummte ich.
    »Time out for tiny little tea leaves

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