Die Druidengöttin
ganze Land zu verstreuen.«
»Veilchenblaue Augen wie Vater«, wiederholte Henry. »Warum hast du nicht nach ihm rufen lassen?«
»Warum sollte ich ihn wegen so einer Nebensächlichkeit wie dem Auftauchen eines seiner Bastarde stören?« hielt Morgana dagegen. »Und außerdem, möchtest du dein Zuhause wirklich mit so einem Weibsstück niedriger Abstammung teilen?«
»Bastarde sind nicht erbberechtigt«, meinte Henry. »Wie sollte sie uns schaden?«
»Es ist schon schlimm genug, daß die Gräfin von Cheshire so hinter Vater her ist«, beklagte sich Morgana. »Wir brauchen nicht noch jemand, der es auf unser Erbe abgesehen hat.«
»Mein Erbe«, stellte Henry richtig.
»Natürlich, wie du meinst.«
»Was Lady Dawn angeht«, bemerkte Henry, »ist Vater hinter ihr her. Ich habe noch gesehen, wie ...«
»Ach! Ihr Männer seid alle gleich.«
»Und was soll das schon wieder bedeuten?«
Morgana ließ die Frage unbeantwortet. Statt dessen lenkte sie das Gespräch auf ihr Lieblingsthema – sich selbst. »Was mich angeht, ich kann mich nicht entscheiden zwischen Richard Devereux und Willis Smythe. Wen von beiden soll ich heiraten?«
»Es kümmert mich nicht im geringsten, welcher Unglückliche deine Hand gewinnt«, antwortete Henry mit schmerzlichem Gesichtsausdruck.
»Diese Haltung geziemt sich nicht für den zukünftigen Herzog von Ludlow«, schimpfte Morgana. »Zwar ist Devereux ein Graf und einer der reichsten Männer Englands, aber Baron Smythe sieht teuflisch gut aus.«
»Dann heirate Devereux und nimm dir Smythe als Liebhaber«, riet ihr ein merklich angewiderter Henry. »Wo ist Vater?«
Morgana zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich liegt er mit Lady Dawn im Bett«, erklärte sie übelgelaunt. »Warum willst du das wissen?«
»Weil er, du hirnverbrannte Närrin, erfahren muß, daß ...«
»Verlier kein Wort über sie«, drohte Morgana, »oder du wirst es bereuen!«
»Vater hat das Recht zu wissen, daß er noch ein Kind hat«, bestand Henry. »Außerdem würde ich meine andere Schwester gerne kennenlernen.«
»Wenn du Vater ein Sterbenswörtchen davon erzählst, werde ich ihm von dem hübschen Mädchen erzählen, das du ...« Morgana sprach den Satz nicht zu Ende. Statt dessen warf sie ihm einen durchtriebenen Blick zu. »Ich weiß, was du getan hast, und ich weiß, daß Papa dir gesagt hat, du sollst die Finger von den Mädchen in Ludlow lassen. Du hast schon zwei Bastarde in die Welt gesetzt. Wie viele soll Vater denn noch unterstützen?«
»Du hast gewonnen«, gab Henry widerwillig nach.
»Schwörst du es?«
»Ich schwöre, Vater nichts von seinem anderen Kind zu erzählen.«
»Ich wußte, ich kann mich auf dich verlassen«, jubelte Morgana und küßte ihn auf die Wange, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte, um den Saal zu verlassen.
Kaum war er alleine, wischte sich Henry die Backe mit dem Ärmel ab und setzte sich. Zwar hatte er geschworen, seinem Vater kein Sterbenswörtchen zu verraten, aber er hatte nicht versprochen, ihrer bislang unbekannten Halbschwester zu sagen, wo sie ihren Vater finden konnte, wenn er nach London abreiste.
»Dobbs!« rief Henry. Als der Majordomus ein paar Augenblicke später auftauchte, gab er ihm Anweisung, den drei Besuchern, die soeben Ludlow verlassen hatten, einen Mann hinterherzuschicken. »Er soll es im Gasthof Zum Eberkopf versuchen. Das ist der einzige Gasthof weit und breit. Dann brauche ich Pergament, eine Feder und einen Boten meines Vaters. Und zwar schnell, Mann.«
Jeder Hoffnung beraubt, sprang Keely auf Merlin und verließ den Innenhof von Schloß Ludlow im Galopp. Sobald sie die äußeren Befestigungsanlagen hinter sich gelassen hatte, ließ sie die Zügel streifen, damit ihre Cousins sie einholen konnten. Wortlos ritten die drei dahin.
Madoc hat recht gehabt, dachte Keely. Sie war tatsächlich die Prinzessin von Nirgendwo.
Die ländliche Gegend erschien ihr nun nicht mehr wie eine Idylle. Die dünne Besiedlung war nur ein Spiegel ihrer eigenen Verlassenheit, die reetgedeckten Häuser waren nun ärmliche Hütten in ihren Augen. Sogar die unzähligen Wildblumen, die sich sanft im Sommerwind wiegten, schienen sich über sie lustig zu machen.
Irgendwo zwischen Schloß Ludlow und dem Gasthof Zum Eberkopf wurde aus Keelys tiefer Herzenspein eine leise vor sich hin brodelnde Verärgerung, und schließlich kochte sie vor Wut. Der Herzog von Ludlow hatte ihre geliebte Mutter geschwängert und sie anschließend im Stich gelassen. Dafür würde er teuer
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