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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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und lief dann leichtfüßig die Treppe hinunter. Latona sah ihm nach.

    »Schade«, hörte sie ihren Onkel raunen. »Diese Kreatur hätte ich mir gerne angesehen. Vor allem die Sache mit dem Raubtiergebiss scheint mir spannend.«
    »Du hast gehört, was er gesagt hat«, erinnerte ihn Latona und fühlte eine Welle der Erleichterung. »Damit müssen wir uns nicht mehr befassen.« Sie nahm seinen Arm. »Komm Onkel, sonst ist der erste Akt vorüber, ehe wir unsere Plätze gefunden haben.«
    Vergeblich versuchte sich Latona, auf den Faust zu konzentrieren. Charles Gounods Oper rauschte ungewürdigt an ihr vorbei. Sie bemerkte nicht den reinen Sopran der Marguerite, nicht die Tiefe von Méphistophélès Bass oder die schauspielerischen Fähigkeiten des Faust, der immer wieder Szenenapplaus bekam - vor allem von den Damen, die ihre Operngläser auf den schönen Tenor gerichtet hielten. Vor Latonas Geist trat das Bild eines anderen jungen Mannes, mit den nachtblausten Augen, die sie je gesehen hatte. Nur dass er eben kein Mensch war. Dieser Martel würde ihn vermutlich ebenfalls ein Biest nennen.
    Latona wagte nicht, zu ihrem Onkel hinüberzusehen. Sie war sich sicher, dass er an das Gleiche dachte wie sie: Vampire. Hatten die Pariser Männer, ohne es zu wissen, einen Vampir gefangen? Gab es unter den Straßen der Stadt noch mehr von ihnen? Je länger Latona darüber nachdachte, desto entschlossener wurde sie. Sie musste sich selbst davon überzeugen. Sie würde in den Jardin des Plantes gehen und sich das Monster ansehen, das die Männer gefangen hatten. Irgendwie würde sie schon einen Weg finden. Auch während der Pause blieben sie beide einsilbig, und als die Vorstellung fortgesetzt wurde, hing Latona wieder ihren Gedanken nach. Der donnernde Schlussapplaus ließ sie erschreckt hochfahren. Rasch hob sie die Hände und fiel in die Jubelrufe ein.
    »Eine hervorragende Aufführung, findest du nicht auch?«, sagte sie zu ihrem Onkel, der vermutlich genauso wenig davon mitbekommen hatte wie Latona.
    »Aber ja, mein Kind, es freut mich, dass es dir genauso gut gefallen hat«, antwortete er abwesend. Schweigend verließen sie den Zuschauerraum und ließen sich von dem Menschenstrom über
die Treppe hinunter ins Vestibül und dann hinaus auf den hell erleuchteten Platz treiben, wo sich Droschken und vornehme Privatkutschen drängten. Auch auf der Fahrt und bei ihrer Ankunft im Hotel sprachen sie kein Wort, sondern hingen beide ihren eigenen Gedanken nach.

RATTEN, RATTEN, RATTEN
    Als die Erben am Abend wieder aus ihren Särgen stiegen, schien die Atmosphäre noch angespannter als in der vergangenen Nacht.
    »Irgendetwas Ungewöhnliches geht hier vor sich«, meinte Franz Leopold und ließ den Blick durch die vom Licht einer einzigen Lampe spärlich erhellte Kaverne schweifen.
    Ivy nickte. »Komm, lass uns hören, was es gibt. Sie wirken beunruhigt, ja, einige fast ängstlich. Das hat nichts mit unserer unerwarteten Ankunft in Paris zu tun.«
    »Nein, das glaube ich auch nicht«, meinte Alisa, die zu ihnen getreten war. »So beängstigend sind wir auch wieder nicht - zumindest die meisten von uns«, fügte sie mit einem schiefen Lächeln in Franz Leopolds Richtung hinzu. Der erwiderte das Lächeln und verbeugte sich spöttisch.
    »Ich danke für das Kompliment. Mit ›beängstigend‹ kann ich leben. Wie tief wäre ich getroffen, wenn du mich harmlos und gar liebenswürdig genannt hättest.«
    Sie folgten Ivy zu der Gruppe, die sich um Seigneur Lucien geschart hatte.
    »Weißt du, was ich seltsam finde?«, sagte Alisa. »Ich dachte, die beiden Seigneurs führen die Pyras gemeinsam. Sie sind Brüder, s oviel ich weiß, aber den Jüngeren, Thibaut, haben wir noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Er hätte uns zumindest begrüßen können!«
    »Vielleicht hat er mit ein paar Pyras irgendwoanders seinen Sarg stehen. Sagte Fernand nicht so etwas, dass sie nicht alle hier zusammenleben?«, meinte Ivy.
    »Das Fräulein Alisa de Vamalia ist aber der Meinung, dass ihr die Ehre gebührt, von beiden Clanführern der Pyras persönlich willkommen geheißen zu werden«, feixte Franz Leopold.

    »Blödsinn! Ich frage mich nur …« Sie verstummte und alle drei blieben stehen.
    »Seine Spur verliert sich in der Nähe des Kanalschachts am Boulevard de la Madeleine. Eine Weile ist er diffus noch zu wittern, dann geht seine Spur in der Duftwolke einer ganzen Schar von Menschen unter«, berichtete Sébastien, seine Miene verdüsterte sich noch mehr,

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