Die Haischwimmerin
Welteroberungsinszenierungen. Neben der Operette hatte eine staatliche Konspiration geherrscht, eine im Atheismus eingelegte geheimdienstliche Religiosität, ein PSI-Faktor, eine marxistische Akte X. Während man im Falle der Rechtsnachfolger des Sowjetreichs doch eher den Eindruck gewinnen konnte, die Allgewalt der Operette würde jegliches Geheimnis an die Wand drücken. Aber vielleicht tat man Putin und seinen Zwergen damit unrecht.)
»Du hast das Loch also nie gesehen.«
»Nein.«
»Das klingt nach Legende.«
Doch der Junge war klug genug zu erwähnen, der Professor sei ganz sicher keine Legende. Man könne ihn jetzt gleich besuchen. Er befinde sich, wie eigentlich die meiste Zeit, drüben im »Labor«, im Nebengebäude. Das mit der Satellitenschüssel.
»Gut«, sagte Ivo und zog sich nur rasch ein frisches Hemd an.
»Wer ist eigentlich die Frau?« fragte Ivo, als man erneut den Rücken der Pinkbestrumpften passierte.
»Galina. Die Tochter vom Professor.«
»Ist sie taub? Oder ist sie in die Suppe verliebt?« fragte Ivo.
»Beides, ja!« antwortete Spirou und machte ein überraschtes Gesicht. Denn er hatte die Frage durchaus ernst genommen und war darum verblüfft ob Ivos scheinbarer Weitsicht, nämlich zu ahnen, wie sehr Galinas vollkommene Konzentration, ihre Suppenliebe und tiefe Versunkenheit nicht zuletzt auch darin begründet lagen, taubstumm zu sein.
Nicht, daà Ivo dies begriff. Auch jetzt noch nicht.
Spirou führte Ivo über einen kleinen Hof. Durch den kniehohen Schnee war eine saubere bogenförmige Schneise geschaufelt worden. Im Sommer, so berichtete Spirou, befinde sich an dieser Stelle ein groÃer Kräutergarten und ein nicht ganz so groÃes Gemüsebeet. Daà hier die Kräuter und nicht das Gemüse überwogen, war ein deutlicher Hinweis auf die magische Bedeutung der Suppen der Galina Oborin.
Die AuÃentür zum Labor besaà das gleiche Rotorange wie die Mosaike an der Mauer und das Haar des Jungen. Und sie verfügte ebenfalls über eine Aufschrift in schwarzen kyrillischen Lettern. Spirou übersetzte: »Das Gehirn des Weltalls«. Was wiederum bestens zur anderen Türe paÃte. Denn zu einem schlagenden Herzen gehört natürlich auch eine den Verstand beherbergende zerebrale Station. Und um eine solche schien es sich zu handeln.
Als Ivo Berg eintrat, da offenbarte sich ihm ein fensterloser, mit unzähligen Geräten und Apparaturen vollgestopfter Raum. Ãberall standen alte oder zumindest nicht mehr ganz neue Computer herum, deren Gehäuse den Farbton der Fingerkuppen starker Raucher aufwiesen. Das Ungewöhnliche aber war, daà diese Rechner geschmückt waren, mit Federn und Ketten und Amuletten und Stücken von Leder, Rinde oder Pelz sowie Einmachgläsern, in denen Objekte schwammen, die Phantasie und Alpträume anregten: Pfoten von Tieren, Schlangenteile, Insekten, allerdings weder Augen noch Zähne, denn es handelte sich mitnichten um ein Gruselkabinett. Ein Gruselkabinett besitzt etwas Komödienhaftes, doch alles in diesem Raum wirkte ernst und von einem Zweck bestimmt, der nicht auf das Erschrecken des Betrachters abzielte.
Ãberraschender noch als die Computer und Transistoren und Röhren und MeÃgeräte und diversen Kabelsalate waren die vielen über den Raum verteilten Telephonapparate, die meisten mit Wählscheibe, deren Kabel mitunter in die Computer mündeten, andere in kleine Löcher, die in den betonierten Boden gebohrt worden waren. Möglich, daà sie zu unterirdisch verlegten Leitungen führten, doch angesichts der rituellen Ausschmückung fast sämtlicher Geräte konnte man sich auch vorstellen, sie wären direkt mit dem Erdreich verbunden. Jedenfalls erschien der Raum wie ein Call-Center der anderen Art. Wer auch immer hier anrief oder von hier angerufen wurde, es ging ganz sicher nicht um das Andrehen von Versicherungen oder todbringenden Aktienfonds.
Oborin war ein Mann knapp über sechzig, der allerdings älter wirkte und dessen untere Gesichtshälfte von einem grauen, dichten Bart eingeschlossen war, während der obere Teil im Licht einer hohen Stirn und einer nackten Schädelmitte stand. Aber das Licht dieser Kahlheit änderte nichts am Dunkel der Augen, die wie ein Schatten ihrer selbst gewissermaÃen die ultratiefen Löcher im Gesicht dieses Mannes bildeten. Beim Eintreten Spirous und
Weitere Kostenlose Bücher