Die Rose der Highlands
Erklärung: Isobel hatte sich unsterblich in den Lord verliebt!
Lili versuchte noch einmal, sich auf das Essen zu konzentrieren. Es
wäre doch zu schade, wenn sie vor lauter Grübelei rein gar nichts von der zarten Offenbarung schmeckte.
Ihr Blick streifte Lord Frasers Teller. Es befremdete sie, wie
ungehobelt er sich den Braten auf die Gabel spieÃte. Das hatte ja selbst sie,
die Tochter einer Köchin, von Kindesbeinen an gelernt. Merkwürdig, dass der
Lord keine Tischmanieren hatte.
Lili schwieg weiterhin eisern, während sie mit halbem Ohr dem
angeregten Geplänkel zwischen ihrer Tochter und Lord Fraser lauschte. Noch nie
zuvor hatte Lili ihre Tochter einem Dritten gegenüber so euphorisch von ihrer
Arbeit in der Schule von Beauly schwärmen hören.
Ich sollte ihr das von Herzen gönnen und mich nicht insgeheim
darüber lustig machen, ging es Lili durch den Kopf, aber sie konnte einfach
nicht über ihren Schatten springen.
Und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr legte sich ihr Groll
auf Isobel. SchlieÃlich musste sie sich wohl oder übel eingestehen, dass der
eigentliche Fehler nicht bei ihrer Stieftochter lag, sondern allein bei ihr.
Wieso hatte sie von Isobel erwartet, dass sie den Verkauf des Geschäftshauses
unwidersprochen hinnahm?
Es war nicht richtig gewesen, diese wichtige Entscheidung über die
Köpfe ihrer Töchter hinweg zu treffen. Das Haus gehörte doch ihnen und nicht
ihr, war sie doch lediglich die Verwalterin des Restvermögens der Munroys.
Erbe? Verwalterin? Tod?
Sie spürte, wie ihr ganz plötzlich übel wurde. Die Erinnerung an
alles, was genau vor einem Jahr geschehen war, stand plötzlich wie ein böser
Geist vor ihrem inneren Auge. Während sie noch überlegte, ob sie kurz an die
frische Luft gehen sollte, rief Isobel besorgt aus. »Lili? Was ist mit dir? Du
bist leichenblass.«
»Ach, es ist wahrscheinlich alles zu viel für mich. Ich hatte
gedacht, ich könne wieder unter Leute gehen, aber â¦Â« Sie stockte und wandte
sich direkt an Lord Fraser. »Sie müssen wissen, es ist auf den Tag genau ein
Jahr her, dass mein Mann tödlich verunglückt ist. Ich bin wohl noch nicht wieder
so weit. Wären Sie so freundlich, uns nach Hause zu fahren? Es tut mir leid,
aber mir ist nicht gut.«
»Aber selbstverständlich!« Lord Fraser stand auf und reichte Lili
seinen Arm. Isobel sah dem Ganzen fassungslos zu, doch dann erhob sie sich
ebenfalls zögernd.
Der Ober kam besorgt an den Tisch geeilt.
»Hat es Ihnen nicht geschmeckt?«, fragte er sichtlich erschrocken.
»Doch, sehr«, entgegnete Lord Fraser rasch. »Aber die Dame fühlt
sich nicht wohl. Machen Sie mir bitte die Rechnung fertig«, fügte er hinzu.
Lili wollte protestieren, dass er ihre Kosten auch übernahm, aber sie fühlte
sich zu elend.
»Ich warte drauÃen«, sagte sie schwach und eilte zur Garderobe. Dort
griff sie hastig nach ihrem Tuch und wickelte es sich um den zitternden Körper.
Nun war ihr nicht mehr übel, sondern kalt. Eine innere Kälte schien sich einen
Weg durch ihre Eingeweide zu bahnen. Sie stürzte ins Freie hinaus. DrauÃen vor
der Tür des Highland Hotels atmete sie ein paarmal tief durch. Die reine Luft
tat ihr gut.
Lili hob den Kopf. So weit der Blick reichte, war das dichte Grün
des Waldes zu sehen. Sie musste plötzlich daran denken, was Doktor Denoon
damals über Strathpeffer gesagt hatte. Es sieht aus, als wäre es ein Dorf in
den Alpen. Und der Doktor hatte gewusst, wovon er sprach. Seine Frau und er
waren diverse Male in der Schweiz gewesen. Bitte nicht, flehte Lili, nicht an
die beiden herzensguten Menschen denken, die vor Jahren tödlich verunglückt
waren. Ausgerechnet, als sie mit dem Wagen ins Hochland hatten reisen wollen.
Nach dem Ersten Weltkrieg. In Strathpeffer hatten die beiden sich mit Dusten
und ihr treffen wollen. Doch dazu war es nicht mehr gekommen. Lili hatte wenig
später von einem ihrer Kinder die Nachricht erhalten. Die ehemaligen
Herrschaften ihrer Mutter waren beim Aufprall sofort tot gewesen â¦
Warum kommt mir das alles ausgerechnet heute wieder hoch, fragte
sich Lili verzweifelt, und sie trat unter dem Dach der Eingangshalle hervor ein
Stück weiter ins Freie.
Der Sturm war abgeflaut, aber es regnete immer noch, doch das störte
Lili nicht. Sie war völlig durchnässt, als Isobel und Lord Fraser ins
Weitere Kostenlose Bücher