Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
jetzt her? Hatte es am Abend zuvor eine telefonische Aussprache gegeben? Wollte Oliver sie jetzt doch verlassen? Ich würde sehr genau aufpassen müssen, was ich jetzt sagte.
»Mein Gott, Alice, was ist denn los? Hast du gestern zu viel Wein erwischt?«
Sie schaute mich nur an. Starrte mich förmlich an.
»Würdest du sagen, dass er ein ehrlicher Mensch ist?«
»Vielleicht solltest du dich erst mal gründlich ausschlafen«, schlug ich vor und versuchte, meine Verunsicherung ganz munter zu überspielen. Was zum Teufel war hier los? Wusste sie von unserer Affäre oder nicht? Und angenommen ja, wäre das gut oder schlecht? Würde sie ihn dann endlich verlassen? Sollte ich ihr einfach alles gestehen? Aber wollte ich das? Empfand ich nach meiner Zeit mit Javier überhaupt noch dasselbe für Oliver?
Alice stand auf, ging schweigend in ihr Zimmer, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen, und machte nachdrücklich die Tür hinter sich zu.
In Windeseile war ich in meinem Zimmer und rief auf der Stelle Oliver an. Er klang verschlafen und reagierte sehr gereizt, als ich ihm in eindringlichem Flüsterton erklärte, was gerade geschehen war.
»Mach dich nicht lächerlich, Moya. Wenn du es ihr nicht erzählt hast, weiß sie auch nichts. Ich war auf jeden Fall immer vorsichtig. Was zum Teufel hast du ihr gesagt?«
Natürlich beteuerte ich meine Unschuld, aber Oliver war ziemlich ungehalten.
»So ein Theater kann ich jetzt nicht gebrauchen! Ich muss schreiben. Ruf mich nicht mehr an.«
Ich habe ihn nicht mehr angerufen und vorerst auch so getan, als wäre nichts gewesen. Beim Frühstück war Alice sehr still; ich nutzte den Rest des Vormittags dazu, mich von Javier zu verabschieden. Bei dem Gedanken, ihn nie wiederzusehen, kamen mir die Tränen. Ihm schien es ähnlich zu gehen. Mit dunklem, kummervollem Blick sah er mich an.
Nach dem Mittagessen sind Alice und ich zum Flughafen aufgebrochen, mussten dann aber noch zwei ewig lange Stunden in der Abflughalle ausharren. Die ganze Zeit drehten meine Gedanken sich im Kreis. Was wusste sie? Warum hatte sie es ausgerechnet hier herausgefunden? Warum gerade jetzt? Oder hatte sie es schon immer gewusst? War Oliver das alles wert? Und was wollte ich eigentlich? Und, auch sehr interessant, würde Con wohl seine ewig gleiche Miene entgleiten, wenn er davon erfuhr?
Auf die meisten Fragen fand ich keine Antwort, aber als unser Flug aufgerufen wurde, wusste ich immerhin eins: Ich war auf dem besten Weg, in ein Leben voller Unzufriedenheit, Frustration und Langeweile zurückzukehren.
Mein Gott, gab das ein Theater, als ich meinen Flug dann nicht angetreten habe. Das ganze Gepäck musste ausgeladen und meine Sachen aussortiert werden. Der Abflug verzögerte sich, die anderen Passagiere hätten mich wahrscheinlich am liebsten gelyncht. Ich habe Alice umarmt und mich bei ihr entschuldigt. Wofür, habe ich nicht gesagt, das würde sie sich selber denken müssen. Aber es war wirklich ehrlich gemeint.
Javier wollte gerade losfahren, als ich wieder auf dem Château eintraf.
»Ma fille« , hat er gesagt und übers ganze Gesicht gestrahlt.
Für mich hat sich ja alles zum Guten gewendet. Wir werden ganz anders leben, als ich mir das bisher vorgestellt hatte. Javier und ich wollen das kleine Bistro Rivière gemeinsam führen. Er wird kochen, und ich kümmere mich um die Gäste, plus vielleicht ein paar kostenlose Cabaret-Einlagen, je nach Klientel. Wir hoffen, dass das Geschäft im Sommer so gut läuft, dass wir uns während des kurzen Winters ein nettes Haus in irgendeinem kleinen Dorf leisten können. Die Kinder waren wütend auf mich und schienen gekränkt, dass ich mich einfach so aus dem Staub gemacht habe, aber sie werden mir verzeihen, ganz bestimmt. Kate will nächstes Wochenende mit ihrem Freund zu Besuch kommen, und wenn sie sehen, wie glücklich ich bin, werden sie es schon verstehen. Con ist in finanzieller Hinsicht ein Schatz und zeigt sich sehr versöhnlich. Kate hat mir erzählt, dass er neuerdings in einem Kaftan durchs Haus läuft und eigentlich ganz froh scheint, seine Ruhe zu haben.
Es ist wirklich ganz furchtbar, was Oliver Alice angetan hat. Und da meint man, jemanden zu kennen. Ich habe ihn ein paar Tage später doch noch mal angerufen, ausgerechnet am Tag des Übergriffs, wie ich jetzt erfahren habe. Schockierend. Ich kann es noch immer nicht fassen.
Ich weiß, dass ich Alice gegenüber nicht fair war. Das Leben war nicht fair zu Alice. Vor allem aber war es Oliver,
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