Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
Antibiotika und
Zuckerwasser zu verabreichen. Aber Ruddy verlangte nach seinem
Opium, denn es war, so behauptete er, eines der ältesten
Schmerzmittel aus dem Arzneischrank der Inder. Dennoch
schwächte ihn der hartnäckige Durchfall, und sein
breiter Schädel wirkte viel zu schwer für den
dünnen Hals. Aber er redete und redete.
    »Wir benötigen eine neue Welt von Mythen als
bindende Kraft«, keuchte er. »Mythen und Rituale, das
ist es, was eine Nation ausmacht. Das ist es auch, was in Amerika
fehlt, wisst ihr – eine junge Nation, noch keine Zeit
für das Herausbilden von Traditionen. Nun, Amerika ist jetzt
verschwunden, England auch, und die alten Ammenmärchen
reichen nicht mehr.«
    »Und du bist grade der Richtige, um neue zu schreiben,
Ruddy«, bemerkte Josh sarkastisch.
    »Wir leben in einer neuen Heldenepoche«, fuhr
Ruddy unbeirrt fort. »Dies ist die Ära, in der
die Welt gestaltet wird! Das ist unsere Chance! Und wir
müssen der Nachwelt berichten, was wir getan haben und
warum…« Und Ruddy redete und redete und
erfüllte die Luft mit seinen Träumen und Plänen,
bis ihn Atemlosigkeit und Dehydrierung zwangen zu verstummen. So
marschierten sie schweigend und langsam weiter durch die riesige,
leere Wüstenlandschaft.

 
{ 28 }
BISCHKEK
     
     
    Die Armee des Dschingis Khan umging die Wüste Gobi an
ihrem nördlichen Rand.
    Es war ein endlos weites Land – ein Spiegel des
wolkenverhangenen Himmels. Manchmal sah man erodierte, müde
wirkende Hügel am Horizont, und einmal schwankte in der
Ferne eine Herde Kamele vorbei, steif und hochnäsig. Die
Mongolen, die Köpfe in Tücher gewickelt, sahen aus wie
Beduinen. Wenn der Wind wehte, verdunkelte ein Vorhang aus gelbem
Sand das Tageslicht – Sand, der metallisch schmeckte, Sand,
dachte Kolja, der sich vor einer Million Jahre oder vor einem
Monat gebildet haben mochte.
    Je länger die Durchquerung des Wüstengebietes
dauerte, desto mehr sank er in sich selbst zurück. Sein Hirn
war benommen, alle Sinne waren stumpf, und so saß er hinten
auf dem Wagen, ein Tuch über das Gesicht gezogen, um den
Staub abzuhalten, und redete kein Wort. Dieses Land war so riesig
und still, dass er manchmal das Gefühl hatte, als
würden sie sich nicht von der Stelle rühren.
Widerwillig musste er die Spannkraft und Energie bewundern, die
schiere Unverwüstlichkeit, mit der die Mongolen es
schafften, die immensen Entfernungen ihrer asiatischen Heimat zu
bezwingen. Doch Kolja kannte den Weltraum, und damals hätte
er die Distanz, die sie nun auf ihrer Reise zurückgelegt
hatten und die auf jeder menschlichen Skala als riesig erscheinen
musste, in fünfzehn Minuten oder weniger geschafft.
    Sie kamen zu einem hohen Hügel aus Steinen und Erde
– einem Grabhügel. Er sah aus wie irgendeine Bestie
aus der Unterwelt, die man gefangen hatte und die sich nun mit
aller Kraft gegen den eisernen Griff des knochenharten Bodens
wehrte und ihm zu entkommen suchte. Kolja hielt es für ein
Skythengrab, das Relikt eines Volkes, das vor Christi Geburt
gelebt hatte, das aber schon wie die Mongolen auf Pferden
geritten war und Jurten gebaut hatte. Der Hügel sah jedoch
frisch aus, die Steine waren nicht im Geringsten verwittert
– aber das Grab war bereits aufgebrochen, und das Gold oder
die Schätze, die es enthalten haben mochte, waren
geraubt.
    Und dann kamen sie zu einem fast modernen Relikt; Kolja konnte
nur aus einiger Entfernung einen Blick darauf werfen: mit
Blechdächern gedeckte Betonhallen, Silos und etwas, das
aussah wie ein Konvoi rostiger Traktoren. Wahrscheinlich
irgendein staatliches Landwirtschaftsprojekt, das schon lange vor
der Diskontinuität aufgegeben worden war. Vielleicht, so
überlegte Kolja, ließen sie nun, da sie sich immer
weiter von der Inneren Mongolei entfernten, den Schwerpunkt der
Geschichte dieses weiten Kontinentes, die Schreckensherrschaft
des Dschingis Khan, hinter sich; und vielleicht waren die
Scherben der zertrümmerten Zeit hier freier, beweglicher in
ihrer Ortswahl und wiesen Flüchtlinge aus unterschiedlichen
Epochen und Gegenden auf.
    Die mongolischen Kundschafter inspizierten das Gelände,
zerrten ein paar rostige Bleche herum, betrachteten sie als
wertlos und ließen alles liegen, wie es war.
    Langsam veränderte sich die Landschaft. Sie kamen an
einem See vorbei – ausgetrocknet, nichts als eine Schicht
Salz in einem flachen Becken. An seinem Rand flitzten Eidechsen
zwischen

Weitere Kostenlose Bücher