Die Zeit-Odyssee
ebenfalls kollabiert
war, dann würde die Überflutung mit ultravioletten
Strahlen das intensive Sonnenlicht erklären und den ihr auf
der Oberfläche des Planeten ausgesetzten Lebewesen noch mehr
Schaden zufügen.
Doch es gab noch andere Lebensräume. Bisesa dachte an die
Biosphäre tief unten in den Ozeanen und an die uralten
hitzeliebenden Lebensformen, die aus den frühen Tagen der
Erde überlebt hatten und sich tief im Gestein oder an den
heißen Quellen am Meeresgrund aufhielten. Ihnen würde ein bisschen ultraviolettes Licht da oben nichts
ausmachen – aber wenn die Welt tatsächlich bis ins
Herz zerschnitten war, dann musste ihr uraltes Reich genau so in
Flicken geteilt worden sein wie die Oberfläche des Planeten.
War auch da unten in den Tiefen ein langsames Aussterben im
Gange? Und waren selbst dort, mitten im Körper der Welt,
Augen begraben, um auch dies zu beobachten?
Die Flotte segelte weiter, erst die Südküste von
Frankreich entlang und dann vorbei an Ost- und Südspanien
Richtung Gibraltar.
Nach wie vor gab es wenige Anzeichen menschlicher Existenz,
aber in der Felslandschaft Südspaniens entdeckten die
Kundschafter einen gedrungenen, äußerst kräftigen
Menschenschlag mit dicken Augenwülsten; doch beim ersten
Anblick der Mazedonier ergriffen diese Wesen die Flucht. Bisesa
wusste, dass diese Gegend eines der letzten Rückzugsgebiete
der Neandertaler gewesen war, als Homo sapiens sich vom
Osten her über ganz Europa ausbreitete; wenn es sich hier
also um späte Neandertaler handelte, dann waren sie gut
beraten, sich vor den modernen Menschen in Acht zu
nehmen…
Alexander hingegen interessierte sich viel mehr für die
Meerenge, die er die »Säulen des Herakles«
nannte. Der Ozean jenseits dieser Grenze war seiner Generation
jedoch nicht mehr ganz unbekannt. Zwei Jahrhunderte vor Alexander
war der Karthagerkönig Hanno verwegen die afrikanische
Atlantikküste entlang nach Süden gesegelt. Es gab auch
urkundlich belegte Berichte von furchtlosen Entdeckern, die sich
nach Norden gewandt hatten und auf fremdartige, kalte Länder
gestoßen waren, wo sich auch im Sommer Eis bildete und die
Sonne selbst zur mitternächtlichen Stunde nicht unterging.
Nun griff Alexander begierig auf sein nagelneues Verständnis
betreffend die Form der Welt zurück: Eine solche Seltsamkeit
war leicht zu erklären, wenn man sich vor Augen hielt, dass
man über die Oberfläche einer Kugel segelte.
Alexander gierte danach, es mit dem großen Ozean
jenseits der Meerenge aufzunehmen. Josh war Feuer und Flamme in
der Hoffnung, mit der Menschengruppe in Chicago Kontakt aufnehmen
zu können, die möglicherweise aus einer ähnlichen
Epoche stammte wie er. Aber Alexander selbst war mehr an der
neuen Insel mitten im Atlantik interessiert, von der die Sojus
berichtet hatte; Bisesas Beschreibungen von Reisen zum Mond
hatten sein Blut in Wallung gebracht, und nun sagte er, ein Land
zu erobern war eine Sache, jedoch der Erste zu sein, der seinen
Fuß daraufsetzte, eine ganz andere.
Doch selbst einem König waren Grenzen gesetzt. Seine
kleinen Schiffe waren nicht in der Lage, mehr als ein paar Tage
lang auf See zu bleiben, ohne Land anzulaufen. Die diskreten
Einwände seiner besonnenen Berater überzeugten ihn,
dass die neue Welt im Westen auf spätere Tage warten konnte.
Und so erklärte sich Alexander widerstrebend, aber doch
frohgemut in Anbetracht der späteren Tage, bereit
umzukehren.
Die Flotte segelte die Südküste des Mittelmeeres an
Nordafrika entlang zurück. Die Reise verlief ereignislos;
die Küste war offenbar unbewohnt.
Wiederum zog sich Bisesa in sich selbst zurück. Die
wochenlange Expedition hatte sie von der aufwühlenden
Präsenz des Auges des Marduk befreit und ihr Gelegenheit
geboten, all das zu überdenken, was ihr bis jetzt
darüber klar geworden war. Und nun ließ irgendetwas in
der Leere von Meer und Land die Rätsel des Auges in ihrem
Geist wieder lebendig werden.
Abdikadir und ganz besonders Josh bemühten sich, sie aus
sich herauszulocken. Eines Abends, als sie alle drei auf Deck
saßen, flüsterte Josh: »Ich begreife immer noch
nicht, woher du es weißt! Wenn ich zu dem Auge
hochblicke, fühle ich gar nichts. Ich bin sogar bereit, dir
zuzugestehen, dass jeder von uns ein inneres Empfinden für
andere besitzt – dass unser Geist, wenngleich ein einsames
Wassertröpfchen im Sprühnebel des großen dunklen
Ozeans der Zeit, die
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