Drachenritter 03 - Der Drache an der Grenze
mächtige Stimme die Stille brach, wirkte beinahe wie ein Sakrileg. Gleichwohl strömten die Grenzer wie Traumgestalten zu ihm hin, und auch die Kleinen Leute formierten sich wieder und rückten ebenfalls von der Felswand ab. Jim begab sich zu seinem Pferd und ritt mit Dafydd zu Herrac hinüber. Die bereits um Herrac versammelten Grenzer bildeten eine Gasse, um ihn durchzulassen. Von Herracs Söhnen fehlten lediglich Giles und Christopher.
Vor Herrac zügelte Jim sein Pferd.
»Ihr habt es geschafft«, sagte er. »Ihr und die Kleinen Leute. Es ist vollbracht.«
Herrac sah an ihm vorbei, und als Jim sich umdrehte, erblickte er Ardac und fünf weitere Kleine Leute, die noch immer ihre Lanzen und Schilde trugen. Jim meinte, ein paar der bärtigen Gesichter vom Kriegsrat her wiederzuerkennen.
»Wir haben es mit Eurer Hilfe geschafft«, sagte Herrac zu Ardac. »Allein hätten wir niemals gesiegt. Mit Euren Speeren habt ihr die Hohlmenschen an der Felswand eingeschlossen, so daß es kein Entkommen für sie gab.«
»Ebensowenig hätten wir es allein geschafft«, sagte Ardac. »Das wissen wir alle - Ihr und ich und jeder, der überlebt hat. Jetzt aber ziehen wir uns zurück. Man wird sich an diese Schlacht erinnern, in einer Generation aber wird man sie wieder vergessen. Alles wird wieder wie vorher sein; Ihr und Euresgleichen werdet uns bedrängen, und wir werden uns wehren und unsere Grenzen verteidigen.«
»Nein«, sagte Jim, »ich glaube nicht, daß alles wie vorher sein wird.«
»Das zu glauben steht Euch frei«, erwiderte Ardac, »doch ändert das nichts an meiner Meinung. Nichts wird sich ändern...«
Er verstummte unvermittelt, als ihn einer der Kleinen Leute am Ellbogen berührte. Alle blickten zur Felswand hinüber.
Dort, wo die Felswand in Kopfsteine und Geröll auslief, schob sich in vollkommener Lautlosigkeit, langsam, unerbittlich und gewaltig ein Wurm über den Ausläufer des Steilfelsens, der größer war als der, dem Jim in der Schlacht am Verhaßten Turm begegnet war.
Darauf ritt ein Mann in einer Rüstung mit hochgeklapptem Visier, so daß man die Leere darin sah. Aus dieser Leere ertönte nun Eshans Stimme, welche das Schweigen aller, die auf der Lichtung versammelt waren, brach.
»Ihr habt geglaubt, Ihr könntet siegen!« rief Eshan. »Ihr könnt niemals siegen! Ich bin am Leben, und bald werden auch alle Gefallenen wieder zum Leben erwachen! Kommt her und tötet mich, wenn Ihr könnt!«
Weder Kleine Leute noch Grenzer machten Anstalten, sich ihm zu nähern. Statt dessen wichen unterschiedslos alle zurück, wenngleich immer noch ein großer Abstand zwischen ihnen und Eshan und dem Wurm lag. Snorrl war verschwunden, und Lachlan wich zusammen mit den Grenzern zurück.
Es war jedoch nicht Eshan und nicht einmal der Wurm, der sie zurücktrieb, so furchterregend und gewaltig er auch sein mochte. Er glitt über die Felsen und hinterließ eine glitzernde Schleimspur. Einen bis anderthalb Meter maß er im Durchmesser und war drei bis vier Meter lang, und er hatte zwei lange Augen-Stiele, an deren Enden eigentümlich leer wirkende Augen saßen. Diese wandten sich unablässig hin und her und schwenkten von einem Teil des unter ihm ausgebreiteten Schlachtfelds zum anderen.
Einen Geruchssinn schien er nicht zu haben, bloß einen kreisförmigen, rüsselartigen Mund, der teilweise geöffnet war und in dem man zahlreiche Ringe winziger elfenbeinfarbener Zähne sah.
Jim vernahm das Klirren einer Rüstung und Hufgetrappel.
»Hier bin ich«, sagte Brian.
Jim fuhr im Sattel herum. Brian saß jetzt sicherer im Sattel. Das Visier hatte er hochgeklappt, und er war immer noch blaß im Gesicht, hatte die unnatürliche Blässe aber verloren. Ein Stück weit hinter ihm ritten Giles und Christopher, die ein wenig verlegen wirkten.
»Verzeiht mir, Sir James!« sagte Sir Giles, sich an Brians Seite vordrängend. »Es war meine Schuld. Aber er hat geschworen, er würde sein Schwert gegen uns ziehen, wenn wir ihn nicht umkehren ließen. Ich konnte weder meine Waffe gegen ihn erheben noch zulassen, daß Christopher dies tat; daher haben wir ihn zurückbegleitet. Er wollte zurückkommen; und jetzt ist er da.«
»Allerdings«, knurrte Herrac, »und Schuld daran hast du!«
»Macht ihm keine Vorwürfe«, sagte Brian, ohne den hochgewachsenen Ritter anzusehen. »Nichts und niemand hätte mich aufhalten können. Ich werde hier gebraucht. Bis jetzt wußte ich nicht, wo meine Pflicht liegt; jetzt aber sehe ich es ganz
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