Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)
als austauschbare Zutat für sein Leben. Verstehen Sie? Er wollte mich nicht wirklich wahrnehmen, er fühlte sich nur wohl mit mir. Zeitvertreib. Mehr wollte er nicht. Amüsement, Leichtigkeit. Darin war er wirklich großartig. Er war so charmant! Und dann kam das Baby. Er war furchtbar enttäuscht von mir, machte mir Vorwürfe. Wie ich ihm das aufbürden könne! Er schaffte es tatsächlich, mir ein schlechtes Gewissen einzureden.«
Lisa Lenz unterbrach ihre Mitschrift und schenkte Gisela Neubauer eine Tasse Kaffee ein.
Die nahm einen Schluck, dann fuhr sie fort: »Danke. Seine Eltern bestanden auf einer Hochzeit, meinten es wohl gut mit mir und dem Kind. Aber die Heirat war ein Fehler. Robert war niemand, dem man eine Familie zumuten konnte. Er litt daran, war überfordert. Und irgendwann tat er mir leid. Glauben Sie mir das? Also verließ ich ihn, mit der Kleinen im Bauch. Seinen dankbaren Blick werde ich nie vergessen, als ich ihm meinen Entschluss mitteilte. Er schwor, mich immer zu unterstützen. Das Versprechen hat er tatsächlich gehalten. Das Geld kam immer pünktlich.«
»Und er wollte das Mädchen nie sehen?«
»Nein. Wozu auch? Ein Kind ist nicht das, was jemand wie Robert Wolff vermisst. Er konnte andere nicht lieben. Er benutzte alle nur. Er war kein guter Mann. Nur ein guter Verführer.«
Eine kompromisslose Sicht auf die Dinge, dachte Walter. Hatte Gisela Neubauer deswegen über zwanzig Jahre das Mauerblümchen gegeben? Um eine neue Liebesbeziehung zu vermeiden? Verlor sie damals jegliches Vertrauen in die Männer?
»Sie hatten all die Jahre keinen Kontakt? Nur das Geld?«, führte Judith unterdessen das Gespräch fort.
»Ein paarmal war sein Anwalt hier. Als es um die Schule für die Kleine ging oder als sie volljährig wurde. Da hat Robert sie zur Alleinerbin gemacht, mit einem Testament. Der Anwalt schrieb mir auch manchmal, wenn sich beim Geld was geändert hat und so.«
»Wissen Sie den Namen des Anwalts?« Ein Testament. Das interessierte Judith sehr. Vielleicht waren im Testament ja noch mehr Kinder benannt. Oder jemand anderes, der ein Interesse am Tod von Robert Wolff hätte haben können.
»Jesco Waldner. Auch aus Meißen.«
Judith sah Walter zufrieden an.
Der Freund von Robert Wolff war also in Waldau gewesen, er kannte die Örtlichkeiten! Ergab sich hier ein Motiv für den Mord?
»Sagen Sie, Frau Neubauer, wo waren Sie am Mittwoch ab Mittag?«
Die Gefragte machte keine Umstände. »Mittwoch also. Ich dachte mir schon, dass Sie irgendwann so etwas fragen. Ich war zu Hause, allein, den ganzen Nachmittag, seit dem Feierabend. Karoline kam erst am Abend, und dann waren wir zusammen.«
»Und Freitagnacht?«
»War ich auch zu Hause. Es ist jeder Tag gleich verlaufen.«
Das klang nicht einmal bitter. Judith kündigte an: »Wir werden versuchen, das zu überprüfen. Was hatte Karoline denn für ein Verhältnis zu ihrem Vater?«
»Gar keines. Sie hat natürlich irgendwann gefragt. Da habe ich ihr erzählt, dass er kein Mann ist, der eine Frau, ... also eine Ehefrau und ein Kind um sich haben möchte.«
»Sie war am Mittwoch mit ihm verabredet.«
Zum ersten Mal während des Gesprächs verlor Gisela Neubauer ihre Gelassenheit. »Was sagen Sie da? Das wusste ich nicht. Ich wusste weder von dieser Verabredung noch von Karolines Fahrt nach Meißen!«
Judith Brunner entschloss sich, an dieser Stelle abzubrechen. Sie wussten noch zu wenig, um weitere brauchbare Informationen erfragen zu können: »Darf ich Sie bitten, hier noch einen Moment bei meiner Kollegin zu warten? Wir sehen kurz nach Ihrer Tochter.« Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass die beiden den nächsten Bus nach Waldau noch gut erreichen würden. »Dann können Sie nach Hause fahren.«
Walter hielt Judith die Tür auf und meinte dann im Flur: »Kannst du dir diese Frau mit einer Mistkarre vorstellen, beladen mit dem toten Ex-Ehemann, den sie vorher zerstochen hat?«
»Seltsames Verhalten, nicht?«, bemerkte Judith. »Versteckt sich vor allen anderen Männern, um diesem einen Kerl nicht mehr zu gefallen. Sie hat allerdings kein überzeugendes Alibi und wir müssen sie so lange als Verdächtige behandeln, bis uns jemand eines bestätigen kann.«
»Mal sehen, was die Tochter da zu bieten hat.«
Karoline Neubauer stand am Fenster und sah in die Dämmerung. In der letzten Viertelstunde war ihr anscheinend die Situation um den Tod ihres Vaters stärker zu Bewusstsein gekommen. Sie sah kläglich und noch kindlicher aus.
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