Eiszeit
gegangen, um ihm die Leviten zu lesen oder ihm zu drohen. Jetzt kommt es mir so albern vor, dass ich es gedacht habe, dass ich mich richtiggehend dafür schäme.«
Sie schluckte. »Du musst dich nicht für deine Gedanken schämen, Heinrich. Wir gehen morgen früh zur Polizei, dann wird alles gut, du wirst sehen. Und jetzt versuchen wir zu schlafen, auch wenn es schwerfällt . Ich muss immerzu an die Italiener denken, aber morgen ist der Albtraum ja vorüber.« Sie drehte sich nach rechts und gab ihm einen Kuss auf den Mund. »Schlaf gut, Heinrich.«
»Du auch, Vroni.«
19
Sie waren zu viert und kamen nach Mitternacht. Alle trugen schwarze Lederjacken, schwarze Jeans und schwarze, halbhohe Sportschuhe. Über ihre Gesichter hatten sie sich Motorradsturmhauben mit zwei kreisrunden Öffnungen für die Augen gezogen, jeder in einer anderen Farbe. Einer trug grün, einer rot, der Dritte blau und der Vierte schwarz. Zwei trugen jeweils eine Stofftasche, die sie locker über die Schulter geworfen hatten. Das lautlose Aufhebeln der Terrassentür war ein Kinderspiel. Weil sie wussten, dass es im Haus der Lapperts keine Alarmanlage gab, bewegten sie sich sofort in den ersten Stock und standen ein paar Sekunden später vor der Schlafzimmertür. Dort verharrten sie einen Augenblick, als würden sie auf etwas warten. Dann hob der Rote den Arm, legte die Hand auf die Klinke, und drückte sie langsam nach unten.
*
Heinrich Lappert schreckte hoch, als ihm klar wurde, dass eine Hand auf seinen Mund gepresst wurde. Er riss die Augen auf und wollte schreien, doch ein stechender Schmerz im Hinterkopf ließ Sterne vor seinen Augen auftanzen und ihn zusammensacken.
Seine Frau war zu diesem Zeitpunkt bereits geknebelt. Zwei der Männer hatten sich an ihre Bettseite geschlichen, ihr einen Stofffetzen in den Mund gedrückt und ein breites Stück Klebeband darübergezogen . Jetzt lag sie mit schreckensgeweiteten Augen neben ihrem wie leblos daliegenden Mann und blickte in das grelle, blendende Licht einer kleinen LED -Lampe. Dann fing die Frau laut an zu weinen. Der Mann mit der Taschenlampe trat neben sie, riss ruckartig an ihren Haaren und zog damit ihren Kopf nach hinten. Schlagartig verstummte ihr Schluchzen.
»Bleiben Sie ruhig, Frau Lappert , dann wird Ihnen nichts geschehen.«
Die Frau, die am ganzen Körper zitterte, zog die Hände vor den Mund, als ob sie dem Eindringling zeigen wollte, dass sie ihn verstanden hatte. Dann trat hinter dem Mann mit der Lampe der Blaue hervor, fasste ihre Arme, zog sie daran hoch und drehte sie mit einer geschickten Bewegung auf den Bauch. Noch bevor sie realisierte, was passiert war, hatte er erneut nach ihren Armen gegriffen und sie mit einem Kabelbinder hinter dem Rücken zusammengebunden.
»Das ist gut«, erklärte der Rote eiskalt und schob einen Stuhl, der vor der großen Spiegelkommode stand, neben das Bett. »Und jetzt erheben Sie sich bitte, setzen sich auf diesen Stuhl, bleiben ruhig und machen keinen Unsinn.«
Sie konnte ihre Tränen auf das Kopfkissen fallen sehen, als sie sich ungelenk in die Senkrechte quälte und mit unsicherem Tritt nach dem Stuhl in ihrem Rücken tastete. Der Rote, der noch immer die Taschenlampe auf sie gerichtet hielt, zog sie nach hinten. Wieder stieß sie einen spitzen Schrei aus, doch dann hatte ihr Gesäß das Sitzkissen erreicht und sie sackte mit geschlossenen Augen zusammen, noch immer leise wimmernd.
*
»Ich werde Ihnen nun erklären, warum wir Sie um diese unchristliche Zeit besuchen müssen, Frau Lappert . Und leider kann ich Sie von einer gewissen Mitschuld an unserem Besuch nicht freisprechen, aber das wissen Sie ja sehr viel besser als ich.«
Er stellte die Taschenlampe auf die Anrichte, ging zum Fenster, um sich zu vergewissern, dass der Rollladen komplett geschlossen war, und schaltete im Anschluss die matte Deckenleuchte ein.
»Sehen Sie mich an«, forderte er leise, aber kompromisslos.
Die Frau hob den Kopf, blinzelte, schloss die Augen wieder, schluchzte, weil ihr gesamter Körper von einem Weinkrampf geschüttelt wurde, riss die Augen auf, sah nach oben und zuckte beim Anblick der roten Maske zusammen. Wieder rannen Tränen über ihr Gesicht. Der Mann zog seelenruhig eine große Pistole und einen Schalldämpfer aus der Jackentasche, schraubte ihn langsam auf den Lauf und zielte dann auf den Architekten, der zu stöhnen begann.
»Nein, bitte nicht«, wollte sie rufen, aber wegen des Knebels kam nur ein
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