Engelsgrube - Almstädt, E: Engelsgrube
Fingern auf das Heft. »Also, wenn Ihnen das weiterhilft: Ein paar habe ich schon mal gesehen. Die hier …« Er trat dicht an Pia heran und hielt ihr die Abi-Zeitung direkt vors Gesicht. Sein Arm berührte den ihren. Erik Braun deutete flüchtig auf ein paar Fotos. »Diekommen mir alle bekannt vor. Ob ich sie aus der Cubango kenne, kann ich nicht beschwören. Wer sich in der Szene bewegt, dessen Visage kennt man einfach.«
Dafür, dass er niemanden konkret benennen konnte, pustete er ihr seinen Atem recht gezielt in die Halsbeuge. Pia schob ihn mit dem Ellenbogen ein Stück zur Seite.
»Schreiben Sie mir alle Personen, die Ihnen hier in der Zeitung bekannt vorkommen, auf. Die Namen stehen ja jeweils unter den Fotos«, forderte sie bestimmt, »jeder, der Ihrer Meinung nach mit Rickleff Degner zu tun hatte, bekommt noch ein Sternchen extra.«
Erik Braun schnaubte verärgert und schleuderte das Heft auf eine der Kisten.
»Für wen das denn? Das dauert ja ewig, bei all den Fotos …«
»Machen Sie sich einfach die Mühe. Für mich!« Sie ließ ihn in seinem Abstellraum stehen, ohne weiter auf seinen Einwand einzugehen.
»Bestellen Sie sich vorne, was Sie wollen«, rief er ihr nach, »geht aber nicht auf Kosten des Hauses!«
Wenn er immer so einfach zu ärgern war, hatte er kein leichtes Leben, dachte Pia. Sie rieb sich am Hals, dort, wo sie seinen warmen Atem gefühlt hatte.
Die Bar hatte sich in der Zwischenzeit gefüllt. Es war Mittwochabend. War nun heute Cubango angesagt, oder nicht? Was hatte Nele ihr erzählt? Pia schüttelte ratlos den Kopf.
Die wogenden Massen vor der geschwungenen Bar sprachen für den Mittwoch. Während Unruh im hinteren Teil des Ladens in ein Gespräch mit einem hoch aufgeschossenen Jüngling vertieft war, schien Gerlach seinen Aufenthalthier einfach zu genießen. Er ließ sich in der Menge treiben, lächelte mal hierhin und nickte mal dorthin. Nie im Leben wäre Pia darauf gekommen, dass sie es hier mit einem Bullen während seiner Arbeitszeit zu tun hatte. Sie warf sich zwischen die schwankenden Menschenleiber und hoffte, dass Erik Braun mit seinen Notizen im Hinterzimmer nicht zu lange brauchen würde. Es hätte keinen Sinn gemacht, neben ihm stehen zu bleiben, während er die Fotos durchging. Der Mann hatte ein übertriebenes Geltungsbedürfnis, er hätte nur eine miserable Show vor ihr abgezogen.
»Was soll ich dir bestellen?«, rief Gerlach ihr über ein paar Köpfe hinweg zu, als er sie erblickte.
»Jemanden, der mich hier in ein paar Geheimnisse einweiht.«
Der Lärm um sie herum machte eine Verständigung auf Distanz unmöglich. Gerlach runzelte die Stirn und kämpfte sich zu ihr durch. Er hatte sich, einem Chamäleon gleich, dem Stil der Bar angepasst. Dieses Gel im Haar trug er im Büro sonst nicht. Und auch seine Kleidung entsprach genau dem Stil der übrigen Gäste hier. Welcher war jetzt eigentlich der authentische Gerlach?
»Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?«, fragte er Pia, als er sie erreicht hatte.
»Im Hinterzimmer. Ich habe ein paar Worte mit Erik Braun gewechselt, dem Chef von diesem Zirkus hier.«
Gerlach grinste und nahm einen Schluck aus dem Glas, das er in der Hand trug.
»Was trinkst du da überhaupt?«
»Sex on the beach. Ich bin nämlich im Grunde privat hier. Nur um ein Auge auf euch zu haben, könnte man sagen. Außerdem lasse ich mir die Zeitströmungen wie ein Fisch durch die Kiemen gehen, irgendwas bleibt immer hängen …«
Pia blieb eine sinnvolle Erwiderung darauf erspart, weil sich zwei langmähnige Blondinen zwischen ihnen hindurchschoben. Sie musterten Gerlach interessiert und blieben am nächsten Bistrotisch hängen, von wo sie ihre Blicke durch den Raum schweifen ließen.
»Du entschuldigst mich?«, fragte Gerlach noch, bevor er sich in Richtung seiner Beute bewegte.
»Aber immer doch!«
Gerlach blickte sie durchdringend an: »Übrigens, Korittki: Ich kann Arbeit und Vergnügen trennen …«
Was sollte das jetzt heißen? »Das beruhigt mich sehr. Ich habe hier nämlich noch etwas anderes zu tun, als für dich das Kindermädchen zu spielen.«
Es sollte locker klingen, aber Pia merkte, dass sie zu angespannt war. Ein aggressiver Unterton war nicht zu überhören gewesen.
»Immer sachte, Frau Kollegin. Es gibt so einen netten Spruch: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen … Oder sollte ich besser Hotelzimmer sagen? Ach nein, das klingt längst nicht so gut!«
Er wartete ihre Reaktion nicht ab,
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