Flammende Sehnsucht
Zuneigung und der verzweifelte Schmerz, der seine Mutter beim Tode des Vaters ergriffen hatte.
Er wollte, was seine Freunde hatten. Marcus und seine Frau hatten nicht die günstigsten Startbedingungen gehabt. Ja, ihre Hochzeit gründete sogar auf einem drohenden Fi-nanzdesaster, dennoch hatte die Liebe sich bald eingestellt. Oder sein Freund, der Marquess von Helmsley, der ursprünglich gar keine Heiratsabsichten gehegt hatte, sondern für die Dame, die dann sein Herz eroberte, eine passende Partie gesucht hatte.
War Glück in der Ehe denn zu viel verlangt?
Vielleicht - wenigstens, was ihn betraf. Vielleicht sollte er sich einfach mit erreichbaren Dingen zufriedengeben. Bestimmt konnte er in dieser Saison noch eine geeignete Braut finden. Unter den heiratsfähigen jungen Damen hatte er die freie Auswahl, und die Zuneigung, vielleicht sogar die Liebe, würde sich mit der Zeit schon einstellen.
»Entschuldige, dass ich dich aus deinen Gedanken reiße«, sagte Marcus, »aber wohin gehen wir eigentlich?«
Wohin? Reggie blieb jäh stehen und blickte um sich. Sie hatten die Straße erreicht. Er hatte es nicht einmal bemerkt.
»Zugegeben, es bräuchte einen langen Spaziergang querfeldein, um die diversen Dilemmata deines Leben zu lösen, aber an einem einzigen Morgen ist das wohl nicht zu schaffen.« Marcus betrachtete ihn nachdenklich. »Ich muss gestehen, dass ich diese seltenen grüblerischen Momente bei dir zermürbend finde. Das Sinnieren passt nicht zu dir.«
»Ich bitte um Vergebung«, meinte Reggie trocken.
»Nimm’s nicht so schwer.« Marcus zuckte liebenswürdig die Achseln und wurde dann nüchtern. »Ich wünschte, du würdest dich mal so betrachten, wie andere dich sehen, alter Freund. Das tust du nämlich nie.«
Reggie betrachtete den Earl eine Zeit lang. Marcus kannte ihn besser als irgendjemand sonst, doch hier irrte er sich. Reggie verfügte über eine sehr realistische Selbsteinschätzung. Er besaß einen vornehmen Titel, ein hübsches Vermögen, und er war nicht unattraktiv. Aber wenn man das alles beiseite ließ, gab es nur wenig, das ihn über den Durchschnitt hinaushob. In der Oper hätte er im Chor gesungen. Auf der Bühne Nebenrollen gespielt. In einem Roman wäre er lediglich als Nebenfigur aufgetreten. Dies war nun einmal sein Los und seine Veranlagung. Und mit einer solchen Veranlagung neigt man nicht zum Grübeln.
Er lächelte. »Du hattest schon immer eine Tendenz zu analytischen Erklärungen, Marcus, aber noch nie so früh am Morgen.«
Marcus starrte einen Moment vor sich hin, als überlege er sich seine nächsten Worte, dann lächelte er. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich muss mich in Zukunft besser im Zaum halten.
Jetzt allerdings« - Marcus wies mit dem Kopf auf die Versammlung, die sie hinter sich gelassen hatten. Die Menge drängte sich um die Tische, Gelächter und Trinksprüche wehten zu ihnen herüber - »bin ich jedenfalls hungrig und neugierig, wo meine Frau geblieben ist. Ich schlage vor, dass wir zur Festgemeinde zurückkehren. Außerdem«, grinste er boshaft, »dürften unzählige junge Damen da sein, die darauf warten, sich dem siegreichen Lord Berkley zu Füßen zu stürzen.«
»Der siegreiche berüchtigte Lord Berkley, wenn ich bitten darf.« Reggie lachte, und Marcus stimmte ein. Seite an Seite - wie fast immer in ihrem Leben - strebten sie wieder der Versammlung zu.
Warum diesen Augenblick des Triumphs nicht genießen? Schließlich hatte Reggie ein Rennen gewonnen und sich ab-gesehen von seinem Gewinn ein wenig Vergnügen verdient. Eine eigenartige Befriedigung erfüllte ihn. Vielleicht war er ja ein ganz gewöhnlicher Mann, aber vielleicht war er ja auch der Einzige, der das wusste.
Vorerst jedenfalls war er der berüchtigte Lord Berkley, und warum um Himmels willen sollte er das nicht auskosten?
3
Mütter sind Spenderinnen des Lebens und Trägerinnen unseres Erbes und sollten daher geschätzt und geehrt werden. Darüber hinaus sind sie — und zwar in der überwiegenden Mehrzahl - ein notwendiges Übel. Marcus, Earl of Pennington
Was um Himmels willen hat Sie so lange aufgehalten? Ich habe schon vor Stunden mit Ihnen gerechnet.«
»Ach ja?« Abwesend reichte Reggie Hut und Handschuhe Butler Higgins, der, solange Reggie denken konnte, in der einen oder anderen Position bei ihnen gedient hatte. Er blickte zu seiner jüngeren Schwester hinauf.
Lucy fegte mit der dramatischen Geste einer geübten Schauspielerin oder aber einer
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