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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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neben der Treppe, die auf die Bühne führt, das heißt, sie drückt sich so an mich, schiebt mich vor sich her, daß ich nur noch dahin ausweichen kann, schräg unter einen der Türme. Ich setzte mich, hil flos kippend, da hin, während sie sich draufhockt, auf meine Beine, in ihren schwarzen Samthosen, mit den kessen Stiefeletten an den Füßen, und mir ihren Kopf ans Ohr legt, um da fröhlich reinzuschreien: »Leg mir die Hand auf den Rücken, was soll denn das? Es schauen eh schon alle! Schieb das Sweatshirt hoch! Schieb es höher! Komm schon, hast du jetzt Angst oder was? Was bist du denn für ein Kinderficker? Höher!«
    Sie hatte Schweiß auf dem Rücken, ich konnte ihn glatt, naß, glitschig spüren, als ich das Shirt hochschob, es war, ich weiß nicht … einerseits ganz furchtbar, zu heftig für mich, zumal die Krachwellen den ganzen Brustkorb vibrieren ließen, ich dachte echt, mein Herz und meine Lungen zittern da drin wie Vögel im Zierkäfig bei Erdbeben. Michael, ich schwöre Dir: Nicht nur Deine Informanten, nein, die halbe Volksbühne hat ihren verschwitzten nackten Rücken gesehen.
    Mehr war nicht mit Ausziehen. Mit ihrem Gesicht so nah an meinem, während sie ihre Kommandos brüllte, muß es ausgesehen haben, als ob wir Wunder was rumknutschen, und Sarah hat später erzählt, daß auch Valeries Samthose tief genug gerutscht ist, um den weißen ­Slip­rand blitzen zu lassen.
    Das Shirt war derweil so weit raufgeschoben worden, daß man von hinten deutlich erkannte, daß meine F-r-e-u-n-d-i-n keinen BH trägt – übrigens, warum sollte sie?
    Michael, ich frage Dich: Wozu noch der Eiertanz?
    Was soll die Verstellung? Weshalb noch so tun, als ob ich irgendwas im Griff hatte?
    Die Wahrheit ist: Beim tapsigen Betatschen ihres verschwitzen, im Rotlicht wahrscheinlich wie Bronze glänzenden Mädchenrückens ist es vermutlich passiert, nicht später, ganz sicher nicht früher – ich habe meine Hand schließlich zurückgezogen, sie hat mir noch ein bißchen am Hals rumgeschleckt, wir sind wieder aufgestanden, sie rannte von der Bühne runter, als ich meinte, ich würde uns jetzt mal was zu trinken holen, rannte zu ihren Freundinnen –, und ich, völlig entrückt, verblendet, katatonisch, hebe also diese mir ganz fremde Hand, halte die Handfläche vors Gesicht und, umbrandet von Noise, rieche daran, lecke Valeries Schweiß ab, als wäre ich irgendein komplett Schwachsinniger mit allzeit offenem Hosenstall.
    Ja, doch: In diesem Moment muß es passiert sein.
    Der so erwartbare, so selbstverständliche Unfall, der unbedingt hätte vermieden werden müssen: Ich liebe dieses böse Kind.
    Ich will sie bei mir haben, ich will, daß sie auch mich bei sich haben will, ich denke permanent an sie, auch wenn ich Dir Epistel gegen tote französische Volksverhetzer aufsetze, ich will in ihrem Haar wühlen, und ich will, daß sie bei mir schläft. Ich will auf sie warten, solange ich muß, falls sie mich jetzt nicht auch wollen, nicht lieben kann, soll es halt dauern. Vielleicht bis nie.
    Aber ich kann nicht zurück.
    Es tut mir also leid, Michael: Das Experi ment ist beendet.
    Ich liebe nämlich diese Valerie Thiel, aber ich werde es ihr nicht sagen. Irgendwann vielleicht, wenn ich glauben kann … Halt, nicht was Du denkst: Wir spielen trotzdem weiter.
    Es ist die einzige Möglichkeit, ihr nah zu sein, wie die verqueren Dinge liegen. Wohin das führen wird, weiß ich allerdings nicht. Ich sehe noch mal auf die Uhr: In einer Stunde werde ich sie treffen.
    Mach damit, was Du willst. Pray for me.
    Robert

VIERZEHNTES KAPITEL
    Gedichte, teils lustig, nebst Lagebesprechung • Nette Geste am Krankenbett • Spiegel mit Sprung • Das alte Blut besprechen, daß es hafte • In Verbindung bleiben • Vier Fäuste für ein Viertes Reich
    1  »Oder hör dir diesen an, der ist auch gut …«
    Der mit diesen Worten angesprochene Zombotiker stand stoisch und Brekerstarr dekorativ am Fenster von Rainer Utzers spartanisch eingerichteter Wohnung, unweit des alten Friedhofs, zwischen dem Bahnhof und der Abfahrt nach Langenau. Das Wesen schwieg sich aus, über den Anlaß von Utzers Heiterkeit ebenso wie über den eigenen Gemütszustand und etwaige darin herumschwimmende Gedanken.
    Dieser Mann war im Juni 1990 bei einem Autounfall gestorben, im August 1991 rechtzeitig zum Kommunalwahlkampf ins Leben zurückgeholt worden, seit 1992 wieder gewählter Bürgermeister dieser Stadt. Kein volles Lustrum vor seinem ersten postmortalen

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