Geheimcode Misty Hazard (German Edition)
Wie ein waidwundes Tier kreischte der Mann und verstummte nur eine Sekunde darauf. Vermutlich war er im Schockzustand und nur bewusstlos, Snake wollte jedoch sichergehen. Sie stemmte sich auf die Ellbogen, knickte ein Bein an und richtete sich auf. Humpelnd ging sie zu dem Ranger rüber, wechselte die Glock in die Linke und jagte dem Mann eine Kugel zwischen die Augen. Dann sank sie wieder zusammen und atmete flach.
Mit Mühe befreite sie sich von der aufgeflockten Schutzweste und sah fünf Kugeln darin stecken. Sie riss sich das Hemd auf, zog das T-Shirt hoch und sah handtellergroße dunkelrote Flecke auf ihrer Haut über den Rippen. Einer davon blutete. Beim Einatmen wurde ihr schwindelig. Mindestens eine Rippe war gebrochen. Snakes Blick wanderte zu ihrem Bein. Die Kugel war glatt hindurchgegangen und schien keine Arterie verletzt zu haben, aber es schmerzte höllisch. Snake robbte zu einem Kleidungsständer, zog ein Oberhemd von einem Bügel und riss die Ärmel in Streifen. Sie band sich das Bein provisorisch ab. Dann fiel ihr Blick auf den Daumen ihrer rechten Hand – oder vielmehr das, was davon noch übrig geblieben war. Erst beim Anblick der roten, fleischigen Masse bemerkte sie den hämmernden Schmerz, der von der Wunde ausging. Der Daumen hing noch am Handskelett, war aber definitiv in beiden Gelenken gebrochen. Ein Knochen stach vor, und der Daumen selbst stand in einem seltsamen Winkel von der Hand ab. Der unmögliche Schusswinkel aus dem Holster hatte den Verschlussschlitten zweimal gegen ihren angewinkelten Daumen geschmettert. Ziemlich unprofessionell für einen Marine, aber in Anbetracht der Umstände durchaus noch akzeptabel.
Snake merkte, wie ihr nicht nur schwindelig, sondern auch übel wurde. Sie atmete tief durch, erntete dabei jedoch nur stechende Schmerzen in der Brust. Die Schutzweste hatte sie vor dem Tod bewahrt, doch sowohl die Bein- als auch die Daumenwunde machten sie für das Team nicht länger tragbar. Allerdings befürchtete sie, dass Dallmer es nicht akzeptierte, wenn sie einfach hier oben blieb und sich nicht mehr meldete. Niemanden zurücklassen , lautete der Kodex jeder amerikanischen Truppengattung. Er würde kommen und nach ihr suchen. Es war besser, sie meldete sich.
Während sie nach dem Ohrclip tastete, hörte sie das Poltern des Panzers irgendwo neben sich. Der Abrams arbeitete sich durch die Mall, wenn Snake auch nicht klar war, was er damit bezweckte.
»Snake hier. Ich bin unten.«
Keine Antwort.
»Snake an Major Hannigan, kommen.«
Noch immer nichts. Die Frequenz war tot.
15:40 Uhr
Die Schüsse kamen von links. Eileen prallte zurück. Ein Querschläger zirpte an ihrem Ohr vorbei. Es brannte. Dann hörte sie nur noch ein Pfeifen im Ohr. Der Funkempfänger war tot.
»Dallmer!«
»Schon gesehen.« Der Marine hechtete unter den Tischen und Stühlen hindurch und robbte bis zum Mittelpfahl.
Eileen kam hoch und setzte über die Theke des Taco Bell hinweg. Sie nutzte den Tresen als Deckung und suchte nach einem Ziel. Wieder Schüsse. Funken sprühten aus der Leuchtreklame über ihr, dann rissen zwei Buchstaben ab und stürzten genau auf sie nieder. Eileen sprang zur Seite.
Dallmer eröffnete das Feuer, doch er stieß auf heftige Gegenwehr.
Eileen kroch zum Ende des Tresens und spähte um die Ecke. Sie sah keinen Gegner, aber wenn die Army-Jungs noch immer nur mit den Straßensperren beschäftigt waren, konnten es nur die Ranger sein, die aus dem notgelandeten Black Hawk übrig geblieben waren.
Dallmer feuerte wieder. Doch auch er schien nur ins Blaue zu zielen. Die Gegner hatten sich irgendwo gegenüber zwischen den Ständen der Fressmeile verschanzt.
Verdammt, so kommen wir nicht weiter!
Eileen wünschte sich, sie hätten schwerere Waffen dabei, aber es half alles nichts, sie musste irgendwie improvisieren. Sie sprang hoch und hechtete über die Verbindungstür zwischen Taco Bell und dem Sushi-Laden.
Sofort wurde sie unter Beschuss genommen. Eine Glasvitrine zersprang. Pfannen schlugen Kugeln zurück. Gläser und Flaschen zerplatzten. Funken stieben über die Theke. Eileen hetzte geduckt weiter bis zum anderen Ende, dann kam sie hoch und drückte den Abzug durch. Die MP7 ratterte los und bestrich die gegenüberliegende Seite des Food Courts mit todbringenden Garben. Sie musste jedoch feststellen, dass sie die Munition verschwendet hatte, denn die Ranger hielten sich weiterhin in Deckung.
Auf die Dinge, die dann geschahen, hatte Eileen keinen Einfluss mehr.
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