Gehetzt - Thriller
keit des Todes, die Urangst vor einem Toten, stießen sie zurück. Sie musste sich zwingen zu bleiben. Es war, als ob die Leiche, wenn sie ihr zu nahe käme, drohte, ihr selbst die Lebensenergie auszusaugen. Als ob sie drohte, sie zu inhalieren, sich von dort, wo sie lag, zu erheben und Di ane selbst als Tote auf dem Boden zurückzulassen. Sie fühlte sich wie ein Urzeitmensch, zurückversetzt in eine Zeit, in der die Menschen noch ziemlich wacklig auf zwei Beinen gelaufen und sich noch nicht ganz sicher gewesen waren, ob sie wirklich den aufrechten Gang erlernen sollten, auch noch imstande gewesen waren, Götter und Monster zu sehen. Diane stand reg los in der Tür, während der Geist der auf dem Bett liegenden ermordeten Frau sie anblickte.
Sie hörte das Heulen von Sirenen durch die dicke Sommerluft jaulen und in der Dunkelheit näher kommen. Bald würden rote und blaue Lichter durch das kleine Fenster zur Straße zucken, genau über dem Holzschreibtisch, der aussah, als ob ihn jemand durchwühlt hatte. Es war ein Schreibtisch, wie man ihn in ei nem Geschäft für Möbel zur Selbstmontage finden
würde; er war gelb lackiert und die obere Kante rundum mit kleinen, mit Hilfe einer Schablone gezeichneten Lavendelblüten verziert. Diane steuerte den Schreibtisch an, wobei sie bei jedem Schritt sorgfältig darauf achtete, keine eventuellen Spuren zu zerstören. Auf dem Schreibtisch stand ein alter Schuhkarton, dessen Deckel auf den Boden geworfen war. In dem Karton lagen geöffnete Briefe, die nach dem Lesen wieder in die Umschläge gesteckt worden waren. Weitere Briefe lagen über die Schreibtischplatte verstreut, offensichtlich waren sie hastig überflogen worden. Diane berührte sie nicht, konnte aber auf einem den Absender lesen: Rick Churchpin, Nr. 00986-345, Ellis Unit One, Huntsville, Texas. Diane kannte die Adresse: der Todestrakt. Einer der geöffneten Briefe auf dem Tisch begann mit den Worten: »Liebe Mutti.« Auf einer Ecke des Schreibtischs lag ein ordentlicher Stapel Haushaltsrechnungen, wie es aussah. Obendrauf lag eine Telefonrechnung, adressiert an Juanita Churchpin.
Diane warf erneut einen Blick auf die Leiche in der weißen, nun blutgetränkten Bluse und der gebügelten Jeans. Blut sickerte in die Tagesdecke und hinterließ Flecken wie von verschüttetem Wein. Wann war der Sättigungsgrad erreicht? Wann würde sich eine Lache bilden? Die Lippen der Frau waren zurückgezogen, als ob sie das Gesicht zu einer Grimasse des Entsetzens verzerrt hatte, doch der Tod hatte den Ausdruck so weit gemildert, dass sie nur noch verwirrt wirkte, wie wegen irgendetwas unschlüssig.
Rick Churchpins Mutter. Jesus, Maria und Josef! Churchpins Mutter, erstochen wie die Teenager am See.
Diane nahm ihr Funkgerät aus der Halterung an ihrem Gürtel und drückte die Sprechtaste.
Sie forderte die Kripo und die Spurensicherung an, ging hinaus zu ihrem Auto, nahm eine Rolle gelbes Absperrband zur Absicherung eines Tatorts aus dem Kofferraum und
sperrte die Umgebung des Hauses ab. Die ersten Nachbarn standen bereits zusammen. Diane holte ihr Notizbuch hervor und begann mit den vorläufigen Befragungen. Sie ignorierte die Feindseligkeit in den Augen einiger auf der Bordsteinkante gegenüber herumlungernder Teenager und junger Halbstarker in Jeans und T-Shirts, manche mit um den Kopf geknoteten Tüchern. Es war Rick Churchpins Clique: auf Speed abfahrende Motorrollerrowdys, die sich freitag- und samstagnachts jenseits der Stadtgrenze beim Lagerfeuer mit Heavy-Metal-Musik und Budweiser zudröhnten. Churchpin war unter den nahezu ausschließlich weißen Gesichtern eine Ausnahme gewesen. Verbunden waren sie allein durch Methamphetamine.
Die Polizisten trafen ein: Detective Efird von der Kripo und Lewis von der Spurensicherung, ein Möchtegern-Nekrophiler, dessen Haut so aussah, als ob er regelmäßig in Formaldehyd badete; sie war gelb lich grün. Falls Diane je ei nem wirklichen Spinner begegnet war, dann ihm, und sie hatte schon viele kennengelernt, seitdem sie bei der Polizei angefangen hatte. Efird, der vor knapp einem Monat von einem längeren Urlaub zurückgekehrt war, sah aus, als hätte er die Urlaubszeit in einem Sonnenstudio verbracht. Bei der Polizei kursierte das Gerücht, dass er weniger auf Urlaub als zur Regeneration weg ge wesen war. Er bedeutete Diane mit einem Nicken, ihm ins Haus zu folgen. Efird sah aus, als wäre er direkt aus dem Bett gestiegen und in einen seiner zahlreichen braunen Anzüge gesprungen,
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