Herzen aus Asche
seine Aufmerksamkeit erregt. Sein Blick verdüsterte sich. Amelie sah nach oben, konnte jedoch nichts erkennen außer eine staubblinde Scheibe im ersten Geschoss.
»Seit wann bist du abergläubisch?«, fragte sie und wandte sich ihm wieder zu. »Natürlich hat hier Licht gebrannt, der Erbe des Hauses hat gelegentlich nach dem Rechten gesehen.« Amelie biss sich auf die Unterlippe. Offiziell gab es keinen Erben, und zum Glück hatte sie Leifs Namen nicht erwähnt.
Jarik zog die Augenbrauen hoch. In seinem Gesicht lag ein undeutbarer Ausdruck, eine Mischung aus Entsetzen und Verwirrung.
»Wer hat das Haus denn geerbt? Ich dachte, es gehört der Stadt.« Er gab sich anscheinend Mühe, die Frage so unverfänglich wie möglich zu stellen, doch Amelie merkte ihm an, dass er zweifelte.
»Das weiß ich nicht. Ein Mann, der mit mir den Mietvertrag ausgehandelt hat. Ich habe ihn nur einmal in meinem Leben gesehen«, log sie und hoffte, glaubwü rdig zu klingen. »Vielleicht war es auch jemand von der Stadtverwaltung oder ein Käufer des Grundstücks.«
Jarik nickte und hakte nicht weiter nach, aber Skepsis stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er ließ den Blick durch den Garten schweifen. »Und du hast wirklich keine Angst? Immerhin treibt ein noch ungefasster Mörder in der Gegend sein Unwesen, weniger als fünfzig Kilometer entfernt.«
Amelie wusste, dass sie ihn in diesem Augenblick mit einem Ausdruck ansah, der Zweifel an ihrem Geistesz ustand hätte aufkommen lassen können. Sie hatte noch nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, selbst in Gefahr schweben zu können, und das, obwohl sie sich sehr sicher war, dass der von Jarik angesprochene Mörder eng mit Leifs Familiengeschichte verstrickt war.
»Ich denke nicht, dass ich in größerer Gefahr bin als jeder andere.« Sie klang nicht halb so selbstsicher, wie ihr lieb gewesen wäre.
Jarik nickte, einmal und gewichtig. »Ich möchte bloß, dass du vorsichtig bist. Es sieht nicht danach aus, dass die Polizei bald jemanden festnehmen wird.«
»Ach nein, weshalb?« Amelie gab sich Mühe, mö glichst desinteressiert zu klingen. Sie widmete ihre Aufmerksamkeit einem kniehohen Schößling, den sie versuchte, mit beiden Händen aus der Erde zu ziehen. Unter keinen Umständen wollte sie sich anmerken lassen, dass der Fall sie mehr anging als den Durchschnittsbürger, dass sie dem Täter sogar selbst auf der Spur war ...
»Siehst du eigentlich irgendwann ma l fern, Amelie? Man hat keinerlei Spuren gefunden, keine Fingerabdrücke, nichts. Laut Aussage der Klinikangestellten soll es unmöglich gewesen sein, das Gebäude ungesehen zu betreten, geschweigedenn auf das Dach zu gelangen. Man glaubt, dass der Täter ein Kollege des Getöteten gewesen sein muss, findet aber weder Hinweise noch ein Motiv.«
»Aha.« Amelies Handflächen rissen an dem verhol zten Stengel der jungen Erle auf. Sie stieß einen Fluch aus.
»Kann ich noch irgendetwas für dich tun?«, fragte J arik.
»Nein.« Es klang kalt und ablehnend. Sie wünschte sich nichts mehr, als allein zu sein. Es hätte ein schöner Nachmittag werden können - nur sie, das Haus, und das Gefühl, Leif in der Nähe zu wissen.
»I ch wäre dir sehr dankbar, wenn du künftig meine Mutter aus dem Spiel lassen könntest. Es hätte mir eine Menge Ärger erspart. Ich hätte die Angelegenheit gerne selbst bereinigt, zu einem Zeitpunkt, den ich aussuche.« Sie wandte sich demonstrativ ab und schickte sich an, ins Haus zurückzugehen.
»Ich will doch bloß das Beste für dich.«
Amelie kehrte ihm den Rücken zu, und obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sein Tonfall verriet, dass es einer subtilen Warnung gleichkam, als hinge für ihn persönlich etwas davon ab, dass Amelie die Villa aufgab. Sie blieb nicht stehen und drehte sich auch nicht um. Sie hörte Jariks Schritte hinter sich, aber er folgte ihr nicht auf den Pfad zur Eingangstür, sondern ging zurück zum Tor, durch das er gekommen war.
Sie schloss mit einem Seufzen die Tür hinter sich. Weshalb nur schien nach und nach die ganze Welt über ihrem Kopf z usammenzubrechen?
»Wer war das?« Sein strenger Tonfall verschlug Amelie für den Moment die Sprache. Leif kam die Treppe zum Obergeschoss herunter, seine Hand glitt über das Geländer. Amelie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, überall mit ihm rechnen zu müssen. »Das war doch der Kerl, der dir beim Umzug schon geholfen hat, oder?«
Amelie ging an ihm vorbei
Weitere Kostenlose Bücher