Honigkäfer (Käfer-Reihe) (German Edition)
nur noch das Licht der Flammen den Raum. Sie bewegte sich vorsichtig, gähnte verstohlen und sobald er es bemerkte, zog er schnell seine Hand weg. Jeanne rieb sich die Augen und gähnte erneut.
"Es ist spät", sagte er neben ihr. Sie seufzte und rollte sich noch mehr zusammen, denn es graute ihr vor dem Gedanken, nun wieder in diese feuchte kalte Zelle zu müssen. Er klappte das Buch zu, legte es ordentlich zur Seite und stand auf. Jeanne blinzelte zu ihm hoch. Sie wollte nicht wieder zurück auf dieses harte Stroh! Er beugte sich zu ihr hinunter und nahm sie hoch, als hätte sie das Gewicht einer Feder. Ihr Kopf lehnte sich an seine Brust, sie atmete den Geruch seiner Haut ein und ihr Bauch krampfte sich schmerzhaft zusammen, als sie daran denken musste, dass er sie gleich wieder absetzen und zurück in ihr Gefängnis befördern würde. Sie war zu verschlafen, denn im ersten Moment realisierte sie gar nicht, dass er die Treppen hinaufstieg, die ja ganz gewiss nicht zu dem Verlies auf dem Hof führen würden. Als sie diesen Umstand bemerkte, traute sie sich kaum noch, zu atmen.
Oben angekommen, trat er auf die breite Galerie, bis er eine Tür, die direkt gegenüber der Treppe lag, mit dem Fuß anstupste und sie knarrend aufschwang. Jeanne sah das Interieur des Zimmers, denn das helle Licht des Mondes fiel durch ein breites Fenster. Es war wie für eine Dame eingerichtet, mit hellen, matt glänzenden Möbeln, einem Frisiertisch und einem unglaublich großen Himmelbett, dessen Vorhangstoff aus feinster Spitze zu bestehen schien. Die Decken sahen aus, wie frisch bezogen und die großen weichen Kopfkissen wirkten sehr einladend. Jeanne war immer noch zu überrascht, um etwas zu sagen, als er sie vorsichtig auf dem Bett absetzte, die Decken zurückschlug und sie dann sanft in die Kissen drückte, obwohl sie immer noch ihr Kleid trug.
"Du kannst hier schlafen", sagte er. Jeanne sah zu ihm, dann blickte sie noch mal in dem Raum umher. Das Zimmer war wunderschön, doch etwas Gespenstisches ging von ihm aus.
Er wandte sich zum Gehen.
"Monsieur!" Jeanne setzte sich in den weichen Decken auf, hin und hergerissen, ihm zu sagen, was sie hier spürte und die Gefahr abzuwägen, dass er sie wieder in diese Zelle schleifen könnte. Er blieb stehen und sah sich zu ihr um.
"Bitte geht nicht!"
Er schüttelte stumm den Kopf, dann wollte er weitergehen.
"Monsieur, bitte!" Ihre Stimme klang ängstlich und mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. "Bitte!"
Er zögerte immer noch. "Nein", sagte er schließlich.
"Nur diese eine Nacht...", flüsterte sie. Mehr als eine Nacht würde er sie vermutlich sowieso hier nicht schlafen lassen, nachdem sie sich so aufgeführt hatte.
Er fluchte in einer seltsam klingenden Sprache, die sie nicht verstand, dann kam er wieder zu ihre herüber und setzte sich an das Fußende ihres Bettes. Sie hob ihre Decken, wollte, dass er sie festhielt, doch wieder schüttelte er den Kopf, als wolle er diese intime Nähe auf gar keinen Fall zulassen. Sein Gesicht blieb so hart und unnachgiebig, dass sie schließlich aufgab.
Unter den Decken schlüpfte sie aus ihrem Kleid und schob es dann den Rand herunter, bis es mit einem leisen Rascheln auf den Boden fiel. Er schaute kurz darauf, rührte sich aber nicht. Sie hörte die rhythmischen Geräusche seines Atems und obwohl er ein ganzes Stück von ihr entfernt auf dem Bett saß, fühlte sie sich sicherer, als allein in diesem fremden Zimmer. Es war schwer zu beschreiben, doch in dem eigentlich freundlich und durchaus luxeriös eingerichtete Raum herrschte eine kalte, unheilvolle Athmosphäre. Doch so lange er da war, wusste sie, dass ihre Angst nicht Überhand nehmen würde.
Jeanne glitt hinüber in einen Traum und fand sich in dem Zimmer wieder, in dessen Bett sie lag und schlief. Plötzlich erschienen Gestalten, zunächst nur wie ein Schatten ihrer selbst, konturenlose Wesen und verschwommen wie in einem Nebel, doch dann manifestierten sie sich langsam. Es waren alles junge Frauen, etwa in ihrem Alter, doch ihre Körper waren misshandelt und ihre Augen leer und tot. Sie alle starrten sie an, stumm und fast anklagend. Und es wurden immer mehr von ihnen! Jeanne schrie gellend, erwachte aus dem Traum und saß kerzengerade und zitternd zugleich im Bett. Tränen rannen heiß über ihre Wange und sie begann zu schluchzen.
"Honigkäfer?" Sie hörte seine Stimme neben ihr, fühlte seine Arme, die sich um sie legten und an sich zogen.
"Da waren schreckliche
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