Ich, Heinrich VIII.
Dach kommen!«, beharrte ich und schaute hinüber zu der Menge, die sich noch an den Tischen drängte. »In einer Stunde, wenn all diese Leute zu Bett gegangen sind.«
Und nun stand ich auf dem flachen Dach über den königlichen Gemächern und wartete ungeduldig auf More. Ich hatte hier mein Observatorium eingerichtet, mit einem Astrolabium, einem Torquetum und einem Solarquadranten sowie einem Tisch für meine Karten und Bücher. Das Dach bot einen freien Blick auf das Himmelsgewölbe, denn das Schloss stand auf einer Anhöhe, weit über den Bäumen der Umgebung, und die diffusen, störenden Lichter Londons leuchteten fünf Meilen weiter flussaufwärts.
Ich atmete tief. Es war kalt und klar, eine frische Herbstnacht. Eine ideale Zeit, wenn man die Sterne beobachten wollte – vielleicht die beste des Jahres.
Kurz vor eins erschien More. Er schaute sich um und sah überrascht, in welchem Ausmaß mein Dach für das Studium der Astronomie ausgerüstet war.
»Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid, Thomas«, sagte ich und deutete stolz auf meine Gerätschaften. »Mit Bologna oder Padua ist es nicht zu vergleichen, das weiß ich, aber mit der Zeit …«
»Euer Gnaden haben Ausgezeichnetes vollbracht, indem Ihr allein dies zusammentrugt.« Er ging hinüber zu meinem Tisch mit den Karten und dem Astrolabium und betrachtete alles.
»Ausgezeichnet«, erklärte er.
»Ich habe versucht, Auriga zu messen«, sagte ich.
»Da müsst Ihr erst Capella anpeilen. Fünf Grad weiter …«
Die Zeit verging im Fluge, als More mir Dinge am Himmel zeigte, die ich noch nicht gesehen hatte, und mir mathematische Formeln verriet, mit denen sich die genaue Zeit bis zum Höchststand eines Sternes ermitteln ließ. Wir unterhielten uns angeregt und merkten gar nicht, wie darüber der Himmel im Osten heller wurde. Er verwandte geraume Zeit darauf, genau zu berechnen, wo Aldebaran sich befinden müsste, und stellte dann das Torquetum entsprechend ein, ihn zu finden. Als er tatsächlich dort stand, lachten und jauchzten wir beide.
»Eine unvergleichliche Schar von messingnen Dienern«, befand More.
»Ihr wisst gut damit umzugehen«, erwiderte ich. »Wie viele habt Ihr selbst?«
Er lächelte und hob langsam einen Finger vor die Augen.
»Ihr sollt auch so etwas bekommen! Ich werde sogleich eines in Auftrag geben, und zum Frühjahr …«
»Nein, Euer Gnaden.«
Das ließ mich jäh innehalten. »Warum nicht?«
»Ich ziehe es vor, keine Geschenke anzunehmen.«
»Aber es würde Euch helfen …«
»Lieber nicht.« Seine Stimme war ruhig, und etwas in ihrem Tonfall erinnerte mich … eine schmerzliche Erinnerung … »Mein guter Lord Heinrich …«
Adieu, Lord Heinrich … Ja, das war es. »Ihr habt die Elegie an meine Mutter vorgetragen«, sagte ich langsam und bevor er zu Ende gesprochen hatte.
»Jawohl, Euer Gnaden.« Es war dieselbe Stimme. Weshalb hatte ich sie nicht gleich erkannt? Aber fast sieben Jahre waren vergangen, seit ich sie gehört hatte …
»Und Ihr habt sie auch verfasst.«
»Ja, Euer Gnaden.«
»Sie war – bewegend.« Ich wartete auf eine Antwort, aber er nickte nur ernst mit dem Kopf. In der Dämmerung war sein Gesicht zu erkennen, aber in seinen Zügen war nichts zu lesen. »Sie hat mir viel bedeutet.« Wieder neigte er den Kopf. »Thomas – kommt an den Hof! Tretet in meine Dienste! Ich brauche Männer wie Euch. Ich möchte meinen Hof mit lauter Thomas Mores bevölkern.«
»Dann kann es doch nicht darauf ankommen, ob einer mehr oder weniger zugegen ist.«
Ich hatte in meiner Erregung das Falsche gesagt. »Das meinte ich nicht. Ich wollte sagen, Eure Anwesenheit wäre mir viel wert.«
»Ich kann nicht, Euer Gnaden.«
»Warum nicht?«, brach es aus mir hervor. Alle anderen waren doch gekommen, sogar vom Kontinent, und More war ein Engländer, dessen Familie schon seit den Tagen meines Vaters in der Umgebung des Hofes lebte. »Warum nicht?« Es war ein qualvoller Aufschrei.
»Ich möchte nicht, Euer Gnaden. Verzeiht mir.« Sein Gesicht war traurig, und er sprach langsam.
»Ich gebe Euch …«
»Sagt mir nicht, was Ihr mir geben wollt«, unterbrach er mich. »Denn dann müsste ich antworten: ›Weiche von mir, Satan!‹ Nicht eben die rechten Worte, wenn man zu seinem König spricht.« Er lächelte, doch dann sah er mein verblüfftes Gesicht. »Gewiss ist Euch die Geschichte von der Versuchung Christi doch geläufig?«
»Ja, aber …«
»Lest sie in Griechisch«, riet er. »Da ist sie viel klarer als im
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