Ich Töte
ab und zu ein Wort entging, beherrschte Morelli die Sprache doch gut genug, um zu verstehen, dass der Mann, der verhaftet wurde, keine Nerven hatte, sondern Drahtseile.
Mit den Tatsachen konfrontiert, legte er eine solche Ruhe und Kälte an den Tag, dass ein Eisberg neidisch geworden wäre. Gewöhnlich zogen selbst die skrupellosesten Verbrecher in einer Situation wie dieser den Schwanz ein und begannen zu jammern. Dieser aber flößte einem beim bloßen Anblick schon Angst ein, selbst mit den Handschellen an den Gelenken. Er dachte an Roby Stricker, den bedauernswerten Kerl, der ihn mit einem Messer in der Hand plötzlich vor sich gesehen hatte. Schlimme Sache, wirklich eine schlimme Sache. Eingeklemmt wie ein Keil in eine noch viel üblere Sache.
Morelli gelang es nicht, den armen entstellten Körper von Gregor Yatzimin zu vergessen, der mit verspätetem Mitleid seines Mörders auf dem Bett arrangiert worden war.
Frank lehnte sich zurück.
»Also, der auf dem Boden scheint mir eine Leiche zu sein. Oder etwa nicht?«
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»Und?«, wiederholte Mosse.
»Und kommt es Ihnen nicht seltsam vor, dass neben dieser Leiche Ihr Name geschrieben steht?«
»Es braucht schon eine blühende Fantasie, um aus diesem Gekritzel meinen Namen herauszulesen.«
Frank stützte sich mit den Ellbogen auf den Plastiktisch.
»Es braucht schon einen verdorbenen Kopf wie deinen, um ihn nicht herauszulesen, würde ich lieber sagen.«
Mosse lächelte. Es war das Lächeln des Henkers, der den Hebel zieht, um die Falltür zu öffnen.
»Was ist los, Mister Ottobre, gehen deine Nerven mit dir durch?«
Das Lächeln, mit dem Frank antwortete, war das eines Gehängten, dem das Seil, das ihn töten sollte, gerissen war.
»Nein, Captain Mosse. Deine Nerven sind mit dir durchgegangen heute Nacht. Ich habe dich vor dem Jimmy’z mit Stricker sprechen sehen, als wir ihn abholen wollten. Ich weiß nicht, wie du an ihn rangekommen bist, aber auch das ist eine Sache, die ich gerne rauskriegen möchte. Als du uns gesehen hast, bist du auf und davon, allerdings nicht schnell genug. Wenn du willst, erzähl ich dir, wie es dann weiterlief. Du hast Strickers Haus beobachtet. Als wir weggingen, hast du noch ein bisschen gewartet. Du hast Strickers Freundin rauskommen sehen. Du bist nach oben. Ihr habt diskutiert. Dem armen Kerl muss die Sicherung durchgebrannt sein, bei dir wohl auch, ihr habt gekämpft, und du hast ihn niedergestochen. Du hieltest ihn für tot, bist gegangen, und er hatte noch Zeit, deinen Namen auf den Fußboden zu kritzeln.«
»Das sind doch alles deine Halluzinationen, und das weißt du auch, Mister Ottobre. Ich weiß nicht, was sie dir verabreicht haben, damit du gesund wirst, aber ich glaube fast, es war ein bisschen zu viel. Man sieht, dass du mich überhaupt nicht kennst …«
Mosses Blick wurde hart wie Stahl.
»Wenn ich beschließe, einen Menschen mit dem Messer umzubringen, dann weiß ich sicher, dass er tot ist, wenn ich gehe.«
Frank winkte ab.
»Wahrscheinlich fängst du auch an nachzulassen, Mosse.«
»Okay. Ich denke, dass es jetzt mein gutes Recht ist, keine weiteren Fragen zu beantworten, außer in Anwesenheit eines Anwalts. In Europa ist das doch auch üblich, oder?«
»Klar. Wenn du einen Anwalt nehmen möchtest, hast du das Recht dazu.«
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»Gut. Dann leckt mich am Arsch, alle beide. Ich sag kein Wort mehr.«
Mosse machte dicht. Mit den Augen fixierte er sein Spiegelbild, sein Blick war abwesend. Frank und Hulot sahen sich an. Sie würden aus ihm nichts mehr herausholen. Frank nahm die Fotos vom Tisch, dann erhoben sie sich von ihren Stühlen und gingen Richtung Tür.
Morelli hielt die Tür auf, um sie vorbeizulassen, und folgte ihnen nach draußen.
Im Zimmer nebenan saßen Roncaille und Durand wie auf glühenden Kohlen. Roncaille wandte sich an Morelli.
»Würden Sie uns einen Augenblick alleine lassen, Inspektor?«
»Natürlich. Ich geh einen Kaffee trinken.«
Morelli verließ den Raum, und die vier blieben allein zurück. Auf der anderen Seite des Spiegels sah man Mosse regungslos in der Mitte des Raumes sitzen, in der Haltung des Soldaten, der in die Hände des Feindes gefallen war.
Ryan Mosse, Captain der US-Army, Matrikelnummer …
Durand wies mit dem Kopf auf ihn.
»Ein harter Knochen«, schlug er als Resümee der Vernehmung vor.
»Viel mehr. Ein harter Knochen, der weiß, dass er alle Unterstützung dieser Welt hat. Aber er kann die persönliche Unterstützung der Heiligen
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