Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
war nicht zu spaßen. Die konnten gefährlicher sein als eine ganze Ashjafalarmee.
*
Ein heruntergekommeneres Lager hatte Prinzessin Lucil noch nie zuvor gesehen. Die Drachenbäume hatten sich an dieser Stelle des Waldes in einem dichten Kreis angeordnet und umschlossen so eine runde Kuhle, in deren Mitte der Lehmboden glatt getrampelt worden war.
Armselige Zelte, aus einfachem Sackleinen, oder anderen entbehrlichen Stoffen, waren zwischen den unteren Ästen der Drachenbäume aufgespannt worden. Darin hausten schmutzige Frauen und Kinder, die neugierig aus ihren Höhlen krochen, als Lucy, in der Begleitung des seltsamen Mannes mit dem Federhut, die Lichtung erreichte.
Einige der anderen Räuber waren schon vor ihnen in das Lager zurückgekehrt. Vereinzelt waren sie verletzt und erzählten aufgeregt, was sie in den Wäldern erlebt hatten.
„Was ist denn geschehen?!“, wollten ein paar Frauen in zerrissenen Flickenkleidern wissen, die zwischen den Drachenbäumen hervorgeströmt kamen.
„Ashjafal!“, bellte der Mann mit dem Federhut. „Auf einmal waren sie überall. Es kam mir so vor, als hätten sie etwas gejagt. Und dann waren da plötzlich Gardisten aus Falgamond. Und wir mitten drin. Ich fürchte, Jerry und seine Männer hat es arg erwischt. Ich habe sie aus den Augen verloren. So etwas ist uns auf dem Grenzpfad noch nie passiert!“
„Und wer soll die da sein?!“ Eine abgemagerte, grauhaarige Frau, bekleidet mit einem dunkelbraunen Lumpengewand, war vor Lucys Rotfuchs stehen geblieben und zeigte mit einem von Ruß geschwärzten Finger auf die Prinzessin.
„Ich weiß nicht“, grinste der Mann mit dem Federhut. „Sie war mitten im Getümmel. Sie sah aus, als wäre sie etwas Lösegeld wert, also hab ich sie einfach geschnappt und mitgenommen.“
Ein junger, kräftiger Mann trat aus der Gruppe, packte Lucy am Handgelenk und zerrte sie aus dem Sattel.
„Aua! Seid Ihr wahnsinnig! Was fällt Euch ein!“
Der junge Mann holte aus und versetzte Lucy eine Ohrfeige. Um sie herum dreht sich alles im Kreis. Einen Moment hatte sie das Gefühl, als würde der Boden unter ihr nachgeben.
„Seht euch das an!“, kreischte die Alte. „Ein Mädchen in einer Ritterrüstung. Die Zeiten werden immer verrückter!“
„Ach halt’s Maul, Adri“, schnauzte der Jüngling. „Ich wette, das ist eine Herzogstochter, die unerkannt bleiben will. Seht euch doch einmal ihr Haar an. So gut gekämmt und gepflegt. Und ihre Zähne. Kein bisschen braun und die Haut, so weiß wie Schnee.“
„Flegel!“ Lucy holte mit dem Fuß aus und trat dem Mann gegen das Schienbein. Der ließ die Prinzessin einen Moment los und hüpfte mit schmerzverzerrtem Gesicht davon.
Adri kreischte vor Lachen. Einige andere Frauen waren herangekommen, um in das Gelächter mit einzustimmen.
„Fessel sie an einen Baum und hör mit dem Schauspiel auf!“, kommandierte der Mann mit dem Federhut und trabte, im Sattel seines Grauschimmels sitzend, davon.
Als der Abend über Faranjoma heraufzog und sich dichter Nebel in die Wälder niederließ, saß Lucil von Shidabayra mit dem Rücken an einen Drachenbaum gefesselt. Tränen der Verzweiflung kullerten ihr über die blassen Wangen. Seit Stunden dachte sie darüber nach, was mit Fay passiert sein könnte. Ob sie mit Philemon hatte fliehen können? Oder war sie vielleicht von den Ashjafal gefangen genommen worden?
Wenn sie den Kopf ganz nach rechts wandte, vermochte Lucy das Räuberlager einzusehen. Dort brannte jetzt in der Mitte der Lichtung ein hohes Feuer, um das die Nebelschwaden tanzten. Einige traurige Gestalten lungerten davor herum. Es waren noch mehr Männer zurückgekehrt, die den Angriff der Ashjafal überstanden hatten. Es handelte sich um seltsame, derbe Gesellen, deren Stimmen und Sprechweise Lucy einen Schauer über den Rücken jagen ließen. Solche Leute hatte sie vielleicht in den Straßen Shidabayras gesehen. Unter den Kesselflickern, Gauklern, Scherenschleifern und Gerbern. Aber von Angesicht zu Angesicht war sie derlei Gesindel noch nie zuvor gegenübergestanden. Sie hatte schreckliche Angst, und sie hätte alles dafür gegeben, ein Messer zu haben, mit dem sie ihre Fesseln hätte durchschneiden können.
Lucy legte den Kopf zurück und blickte in die Krone des Drachenbaumes hinauf. Solche hohen und verzweigten Bäume gab es in Yspiria nicht.
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