Im Herzen der Nacht - Roman
die Knie zwang. Aus allen seinen Wunden strömte Blut, und das erschwerte ihm, sich auf dem glitschigen Boden zu erheben. Trotzdem tat er sein Bestes. Sunshine zu retten, nur darauf kam es an.
Einer der Männer riss die Jalousien von den Fenstern, Sonnenlicht fiel in den Loft und brannte auf Talons Haut. Ächzend wankte er zur Tür, durch die Camulus verschwunden war. Drei Männer folgten ihm und schlugen ihn nieder. Aber er setzte sich zur Wehr, bahnte sich einen Weg zwischen den sechs Gegnern und folgte dem Gott.
Erst als er das Haus durch die Hintertür verließ, wurde ihm bewusst, dass er sich in den Sonnenschein gewagt hatte. Sein ganzer Körper schien Feuer zu fangen. Fluchend wich er in den Flur des Clubs zurück und beobachtete hilflos, wie Camulus bei einem Wagen stehen blieb und Sunshines Kopf hob, sodass Talon ihr Gesicht sehen konnte. »Verabschiede dich von deiner Frau, Speirr. Mach dir keine Sorgen, ich werde gut auf sie aufpassen.«
Unsanft warf er sie ins Auto und fuhr davon.
»Nein!«, würgte Talon hervor und sammelte neue Kräfte. Er durfte Sunshine nicht in den Tod schicken.
Nicht noch einmal.
11
Kurz vor vier Uhr nachmittags umrundete Nick die Ecke der Fußgängerzone und sah Ash vor dem Corner Café warten.
Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte der Atlantäer lässig an der Ziegelmauer, ein Bein leicht angewinkelt. Trotzdem wusste Nick, dass Acheron bei der geringsten Provokation sofort zum Angriff übergehen würde.
In einer schwarzen Lederhose, einem schwarzen T-Shirt und einem langen Mantel im Piraten- und Kolonialstil beobachtete Ash die Passanten, die einen weiten Bogen um ihn machten. Eine gefährliche, finstere Aura umgab ihn wie ein anmutiges, schönes Raubtier, das man wohlgefällig betrachtete, ohne zu verkennen, wie schnell es einen anspringen konnte.
Niemand war sich sicher, wie man sich dem ältesten Dark Hunter nähern sollte. Deshhalb gingen die meisten seiner Untergebenen nur zaudernd zu ihm wie zum Zahnarzt.
Manchmal erregte er Nicks Mitleid. Es musste schwierig sein, so große Macht auszuüben und niemanden zu kennen, dem man sich anvertrauen konnte. Ash wahrte stets Distanz zu allen Leuten - physisch und mental. Nick behandelte ihn so wie die Jungs, mit denen er sonst umging. Er nahm an, das würde Acheron schätzen. Zumindest wirkte er in seiner Gesellschaft etwas entspannter als bei den Begegnungen mit anderen Knappen oder den Dark Huntern.
»Guck mal, Mommy, ein Riese!«
Nick wandte sich zu einem etwa fünfjährigen Mädchen, das auf Ash zeigte. Nach einem kurzen Blick in die Richtung des Mannes hob die Mutter das Kind hoch und eilte zur Kirche, so schnell die Beine sie trugen. Acheron winkte dem Mädchen nach, das seine Mutter erneut aufforderte, ihn doch anzuschauen. Armer Kerl …
Seufzend schlenderte Nick zu ihm. »Wenn Sie weniger gruselig angezogen wären, würden Sie die Leute nicht dauernd in die Flucht schlagen.«
Ash schob seine Sonnenbrille mit einem Zeigefinger zur Nasenspitze hinab und lächelte ihn ironisch an. »Glaub mir, Nick, an der Kleidung liegt das nicht.«
Wahrscheinlich hatte er recht. Seine unnatürliche, beklemmende Ausstrahlung weckte in jedem Betrachter den Verdacht, er würde nicht zur menschlichen Spezies gehören. Wie Nick feststellte, hatte Ash schon wieder die Farbe seiner Haare gewechselt. An diesem Morgen, bei einem Besuch in Kyrians Haus, waren sie violett gewesen. »Wieder mal schwarzhaarig?«
»Wieder mal vorlaut?«
Nick lachte, und Ash bückte sich, um seinen Rucksack aufzuheben, den er niemals aus den Augen ließ.
Schon oft hatte Nick überlegt, was darin stecken mochte. Aber da er nicht zum Selbstmord neigte, verzichtete er darauf, das herauszufinden. Diesen Rucksack hütete Acheron wie ein kostbares Juwel.
»Wie war die Prüfung?«, fragte der Atlantäer.
»Nervtötend. Ich hätte mein mikroskopisches Walkie-Talkie gebraucht, um mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Ich studiere klassische griechische Kultur bei Julian Alexander.
Ständig tritt er mich in den Arsch, ein richtiger Pedant.«
»Von Vetternwirtschaft hat er noch nie was gehalten.«
Nick wies mit dem Kinn auf das Lokal, das nur zur Hälfte besetzt war. »Stört es Sie, wenn ich während der Besprechung was esse? Ich habe den Lunch ausfallen lassen, um zu büffeln. Jetzt bin ich am Verhungern.«
»Okay.« Ash hielt ihm die Tür des Cafés auf und ließ ihm den Vortritt.
Jetzt, wo Nick darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass Acheron das immer so
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