Irgendwo dazwischen (komplett)
gewöhnt, dass eine andere Frau als Lili das bei mir
auslöst. Sie hat etwas Neckisches an sich. Ich betrachte ihr Gesicht und den
Ausdruck, der darauf liegt. Selbstsicher, unkonventionell, wunderschön. Und
zugegeben, sie sieht ihr ähnlich. Ziemlich sogar. Doch im Gegensatz zu Lili
scheint sie zumindest nicht ausschließlich an Männern interessiert zu sein. Ihr
Blick ist anders, er ist fordernd, so als sähe sie mir an, dass ich sie
ausziehen will, jetzt und hier. Ich bin froh, dass Maurice mich überredet hat
zu kommen. Elias und seine Freunde bemerken nicht, wie die Funken zwischen uns
springen. Doch ganz sicher kann man sich da nie sein. Wer weiß, vielleicht
taucht in zwei Minuten ihr braungebrannter, muskulöser Freund auf, der sie dann
in seine braungebrannten, muskulösen Arme schließt und vor meinen Augen
verschlingt. Es ist seltsam, doch ich habe mich so an meine Fassade gewöhnt,
dass ich mich teilweise schon selbst damit überzeugt habe. Die meisten Menschen
meinen, ich gehöre zu der Sorte Mensch, an der alles abprallt, so als umgäbe
mich eine unsichtbare Schutzschicht, die mich vom Rest der Welt trennt. Man
würde mich niemals weinen sehen. Und man kann mich scheinbar nicht verletzen.
Ich bin die Schulter. Ich bin die Verfechterin derer, die ungerecht behandelt
werden. Ich erhebe die Stimme, wenn es keiner tut, was meistens ist. Ich handle
mir den Ärger ein, der nicht mir gehört. Und eigentlich habe ich keinen
Schimmer, warum ich das tue. Vielleicht liegt es daran, dass ich über Jahre der
Arsch war. Ich war die mit den zwei Müttern, die, die man gefragt hat, welche
der beiden jetzt der Mann ist. Ich weiß nicht mehr, wie oft man mich gefragt
hat, ob mein Vater denn keinen Schwanz hätte. Ich war die, die immer anders
war. Und lange hätte ich alles getan, um nicht anders zu sein. Doch irgendwann
wurde mir klar, dass es besser ist so zu sein wie ich, als so wie all die stumpfsinnigen
Mitläufer, die mich nur schlecht behandelt haben, weil sie zu große Angst davor
hatten, selbst einmal auf dem elektrischen Stuhl der Klasse zu landen. Ich habe
diesen Stuhl überlebt. Und das hat sie geärgert. Meine Mutter hat immer zu mir
gesagt, Sei freundlich zu deinen Feinden, nichts ärgert sie mehr . Dieser
Satz war sicher nicht von ihr, doch ich denke, dass sie damit recht hatte. Ich
denke, dass es schwerer ist, anders zu sein, als sich anzupassen. Aber anpassen
ist nichts für mich. Und dann kamen Menschen, die mehr in mir gesehen haben als
die Lesbentochter. Lili war eine von ihnen. Und seitdem bin ich die Stimme und
die Schulter. Ich weiß, dass Lili mich durchschaut, doch sie gehört zu den
wenigen. Die meisten halten mich für tough. Und das bin ich. Zumindest nach
außen hin, denn im Inneren bin ich klein und verletzlich. In Wirklichkeit bin
ich zart und ängstlich. Doch eine Klasse ist wie ein Rudel, und der Anführer
riecht Angst. Er braucht die Schwachen, um seine Stärke demonstrieren zu können.
Wie bei Hunden wird der Schwächste zerfleischt. Und deswegen bin ich nicht mehr
zart. Ich bin Außenseiter aus Leidenschaft. Ich habe es mir in dieser Stellung
bequem gemacht und man lässt mich in Frieden. Und Frieden ist gut. Frieden ist
sogar sehr gut.
Außer Lili und zwei anderen weiß keiner, dass ich mich zu Frauen
hingezogen fühle. Früher habe ich öfters mal nen Typen mit nach Hause genommen,
doch nach Lili hat das aufgehört. Ich weiß, dass ich eher darunter leiden würde
als es zu genießen. Seine Hände wären nicht ihre. Seine Haut falsch, sein
Geruch falsch, alles an ihm falsch. Deswegen warte ich auf die Frau, die Lilis
Platz einnimmt. Und vielleicht ist es die schöne Fremde. Vielleicht ist sie
die, auf die ich gewartet habe. Und es gibt nur einen Weg, das
herauszufinden...
Ich sitze auf der Terrasse. Alles um mich ist taub, oder nur ich
bin taub. Ich kann es nicht sagen. Ich ziehe an meiner Zigarette und verfluche
das Leben. Natürlich habe ich nicht mit ihr gesprochen. Ich bin eben nur nach
außen hin die, die sich nimmt, was sie will. Innerlich zittere ich und habe
Angst vor der Ablehnung. Sie schläft. Und vermutlich hat sie keine Ahnung, dass
ich empfinde, wie ich empfinde. Denn ich bin undurchsichtig.
Es ist sternenklar und die Luft ist angenehm warm. Der Sommer um
mich herum kann nichts daran ändern, dass alles scheiße ist. Es ist etwa fünf
Uhr morgens. Und Lili liegt im Krankenhaus. Ich weiß nicht, aber ich habe ein
schlechtes Gewissen. Lili wurde operiert und ich denke
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