Jerry Cotton - 0547 - Der Wuerger aus der Todeszelle
Es war sein erster Ausgang seit dem Tage des Überfalls auf Barbara Monelli. Carter hatte den Kragen seines dunklen Regenmantels hochgestellt und den Hut tief in die Stirn gezogen. Es hatte erst vor 20 Minuten aufgehört zu regnen.
Tony Carter war guter Laune. Er hatte den größten Coup seines Lebens gelandet, praktisch im Alleingang. Was jetzt noch kam, war ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was hinter ihm lag. Möglicherweise war seine Vorsicht übertrieben gewesen, aber er hielt es noch immer für eine gute Idee, daß er sein Quartier gewechselt hatte.
Er kaufte an einem Kiosk eine Zeitung und überflog im Weitergehen die Überschriften. Es stand nichts von Barbara Monelli drin. Die junge Frau war über den Berg. Sie hatte ihn nicht identifizieren können. Selbstverständlich hatte sie der Polizei gegenüber kein Wort von dem gestohlenen Rauschgift verlauten lassen.
Carter lachte kurz. Natürlich durfte er sich nicht bluffen lassen. Ihm drohte zwar keine Gefahr von der Polizei oder dem FBI, aber Monellis Syndikat würde nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Die Gangster würden versuchen, seine Identität zu ermitteln und ihm das Gift wieder abzujagen.
Er wußte, daß er nicht mit Nachsicht und Mitleid rechnen durfte. Er wußte auch, daß Monellis Nachfolger längst die Unterwelt alarmiert hatten, um zu erfahren, wann und wo das Raubgut angeboten wurde.
Carter ginste selbstzufrieden. Er hatte nicht vor, das Marihuana in New York zu verhökern. In dieser Stadt hatte der Monelli-Mob zu viele Querverbindungen.
Tony Carter winkte ein Taxi heran, das langsam durch die Straßen rollte. Der Wagen hielt, Carter stieg ein und sagte: »1130 Jackson Avenue, bitte.«
Der Fahrer murmelte ein paar unverständliche und wenig freundlich klingende Worte. Bis zur Jackson Avenue waren es nur wenige Häuserblocks. Offenbar paßte es dem Fahrer nicht, daß er wegen einer so unbedeutenden Fuhre angehalten worden war. Carter kümmerte sich nicht darum. Er gab auch kein Trinkgeld, als er den Fahrer entlohnte.
Carters Sinne waren gespannt, als das Taxi wegfuhr. Er hatte dem Fahrer vorsichtshalber eine falsche Hausnummer genannt und mußte noch einen Häuserblock weit zu Fuß gehen.
Es gab zwar nicht sehr viele Leute, denen bekannt war, daß er mit Helen Latimer verkehrte, aber falls man ihn suchte und seine Gewohnheiten richtig einschätzte, würdö man ihn zweifellos hier erwarten. Er ging deshalb zunächst an dem Haus vorbei. Wenig später kehrte er auf der gegenüberliegenden Straßenseite zurück. Helen wohnte in der 2. Etage des mäßig modernen Apartmenthauses. Sie hatte heute ihren freien Abend und erwartete ihn. Sie war, wie er wußte, nicht allein.
Erleichtert stellte er fest, daß sich keine verdächtigen Gestalten in der Nähe zeigten. Er überquerte die Fahrbahn und betrat das Haus. Der Lift brachte ihn nach oben. Er klingelte. Helen öffnete und ließ ihn eintreten.
Helen war eine attraktive Endzwanzigerin. Sie hatte eine ziemlich auffällige Manier, sich zu bewegen und hüftenschwingend ihre Reize zu propagieren, aber abgesehen davon war sie ein Girl, mit dem man sich überall sehen lassen konnte.
Er betrat mit Helen das Wohnzimmer und stutzte. »Wo ist Worthing?« fragte er.
»Im Bad. Nimmst du einen Whisky?«
Carter setzte sich und nickte. Er rieb sich die Hände, als ob ihm kalt sei, und war sich des verwunderten Blickes bewußt, den Helen ihm schenkte. Er fühlte sich wie ein ertappter Sünder und schob die Hände in die Taschen.
»Ja, ein Whisky wird mir guttun, Honey«, nickte er. »Bist du angerufen worden?«
»Nur von dir und Worthing. Warum?«
»Ich frage nur so«, meinte er und sah zu, wie sich Helen an der kleinen Hausbar zu schaffen machte. Das Zimmer war recht elegant eingerichtet, aber Über allem lag ein Hauch beginnender Schäbigkeit. Vor sechs Jahren war Helen Latimer ein bekannter und hochbezahlter Plattenstar gewesen, aber dann ging es plötzlich mit ihr bergab, und heute war sie froh, wenn man sie für 150 Dollar pro Woche in irgendwelchen Nachtlokalen singen ließ.
In der Diele ertönten Schritte. Die Tür öffnete sich, und Worthing trat ein. Er war ein hochgewachsener Mann von aufdringlicher Eleganz, braungebrannt und selbstsicher, ein brutaler Dandy aus der Unterwelt von Miami Beach. Die Männer kannten sich nur flüchtig. Gemessen an Worthings Bedeutung war Carter nur ein kleiner Fisch.
Die Männer begrüßten sich kurz. Worthing setzte sich und kam sofort zur Sache:
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