Julia Extra Band 0297
nicht gefallen, wenn Sie mit einem gebrochenen Herzen nach Hause zurückkehren. Im Moment schlägt es nur schneller, so wie das bei jeder Frau der Fall wäre, wenn ein Mann wie Seine Lordschaft ihr seine Aufmerksamkeit schenkt. Aber achten Sie darauf, dass es nicht mehr wird. Fahren Sie ruhig mit ihm nach Winterborne Hall, wenn es denn sein muss. Aber seien Sie auf der Hut. Die Versuchung ist groß zu vergessen, wer Sie sind und wer nicht.“
Stolz und Selbstachtung ließen Marinas grüne Augen vor Wut sprühen. „Ich bin genauso gut wie jeder andere Mensch, Henry.“
„Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, Miss Marina. Aber Sie werden nicht die Lady sein, die Seine Lordschaft heiratet. Er fühlt sich zu der Hochzeit mit Lady Tiffany verpflichtet und wird sie in jedem Fall heiraten, unabhängig davon, wie seine eigenen Gefühle aussehen.“
„Wollen Sie damit sagen, dass er Lady Tiffany gar nicht liebt?“
„Ich will nichts dergleichen sagen. Natürlich liebt er sie – genauso, wie er ihren Bruder geliebt hat. Er hat ihm ein Versprechen gegeben. Als sein bester Freund in den Krieg zog, hat Seine Lordschaft ihm versprochen, dass er sich um dessen kleine Schwester kümmern würde, falls ihm etwas zustoßen sollte. Die Hochzeit mit Lady Tiffany ist daher eine heilige Pflicht – eine, die bis zu diesem Morgen noch kein Problem bedeutete.“
Was sollte sie nur mit Henrys Andeutungen anfangen? „Aber ich habe doch gar nichts getan!“, entgegnete sie hilflos.
„Abgesehen davon, dass Sie das bezaubernde Wesen sind, das Sie nun einmal sind, Miss Marina. Ich gebe Ihnen keine Schuld, und ich stimme Ihnen ja auch zu, dass bislang noch nichts Gravierendes passiert ist. Aber ich erkenne die Warnzeichen. Vergessen Sie bitte nicht, dass ich seit sieben Jahren der persönliche Kammerdiener Seiner Lordschaft bin, und ich kenne ihn gut. Was das andere Geschlecht angeht, kann ich praktisch seine Gedanken lesen.“
Trotzig hob Marina das Kinn. „Ich werde das Richtige tun, Henry.“
Was auch immer das war. Im Moment hatte sie nicht den blassesten Schimmer. Sie dachte ganz anders als diese Menschen. Ihr Leben war nicht geprägt von steifer Tradition und heiliger Pflicht, stattdessen folgte sie ihrem Herzen. Und das sagte ihr, dass sie sich möglicherweise Hals über Kopf in den Earl of Winterborne verliebt hatte.
Was auch immer ihre Gefühle für James bringen mochten, sie wusste jetzt, dass sie Shane nicht heiraten konnte. Was sie für ihn empfand, war definitiv keine Liebe. Er hatte nur ein Bedürfnis in ihrem Leben gestillt, als sie sich allein und verlassen vorkam. Außerdem hatten seine Qualitäten als Liebhaber ihr Gefühlsleben in Verwirrung gestürzt.
Marina beschloss, die Verlobung zu lösen, sobald sie nach Hause zurückkehrte. Sie würde den Schlag für ihn abmildern, indem sie Shane die Pferde und den Namen der Reitschule überschrieb. Außerdem hatte sie ganz entschieden das Gefühl, dass es ihn nicht allzu hart treffen würde.
Und was das Richtige hier in London anbelangte …
Nun, das lag an James, oder?
4. KAPITEL
„Sie sehen viel besser aus“, sagte James, während er ihr auf den Rücksitz des dunkelgrünen Bentleys half. Die Fahrt zum Krankenhaus dauerte selbst bei starkem Verkehr nicht länger als fünfzehn Minuten. Das hatte Henry ihr versichert.
Vor dem Besuch bei Rebecca hatte Marina die Zustimmung des alten Dieners für ihre Aufmachung eingeholt. Sie trug einen schlichten schwarzen Hosenanzug und bändigte ihre rotgoldene Lockenpracht mit einer Spange im Nacken.
Henry hatte zwar nichts gesagt, doch allmählich gelang es ihr, seinen Gesichtsausdruck zu deuten – so subtil der auch in der Regel war. Zustimmung drückte sich in einem minimalen Kopfnicken sowie einem leichten Funkeln der stahlgrauen Augen aus.
„Offensichtlich hat Ihnen der Schlaf gutgetan“, fügte James hinzu und setzte sich neben sie.
Marina versuchte angestrengt, ihn nicht anzustarren, doch es schien ganz so, als hätte sie in der Kürze der Zeit vergessen, wie gut er aussah. Eindringlich erinnerte sie sich an Henrys Warnungen und hoffte, dass ihre innersten Gefühle sich nicht in ihrem Gesicht widerspiegelten.
Doch wie wundervoll wäre es – nur ein einziges Mal –, sich vorzubeugen, einen Kuss auf seine Lippen zu hauchen und ihm dann zu sagen, wie sehr ihr Herz in seiner Nähe immer raste. Und ihm danach zu gestehen, dass es für sie den Himmel auf Erden bedeuten würde, wenigstens eine Nacht mit ihm zu
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