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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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redest, wird Lepcke sie schlicht und einfach vorladen und durch die Verhörmühle drehen. Und du weißt, was das bedeutet. Aber jetzt geht es erstmal um die Entführung. Willst du wirklich riskieren, dass es noch ein weiteres Opfer gibt, obwohl vielleicht noch eine Chance besteht, wenigstens das halbwegs glücklich zu beenden? Sollte das deine Haltung nicht ändern?«
    Lisas Antwort war zunächst eher indirekt.
    »Was ich nicht verstehe«, sagte sie, »ist, wieso du immer noch ausschließlich denkst wie ein Polizist! Können zwanzig Jahre Beruf einen Menschen tatsächlich so prägen, dass er nicht mehr aus seiner Haut kann?«
    »Zweiundzwanzig Jahre«, sagte Tabori. »Und: Ja, können sie. Oder es gibt irgendein Gen, das mich so handeln lässt, ohne dass ich es beeinflussen kann.«
    »Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss?«, fragte Lisa spöttisch.
    »So in etwa.«
    »Unter einer Bedingung«, sagte Lisa. »Wenn ich das Gefühlhabe, dass da irgendwas kommt, was für sie gefährlich werden könnte, breche ich das Gespräch ab. Und ich werde nichts über den Mord an Respekt rauszufinden versuchen, sondern mich auf Damaschke konzentrieren.«
    »Damit kann ich leben«, nickte Tabori.
    Sie verabredeten, dass Lisa die beiden Anwärterinnen auf die Terrasse im Strandbad am Maschsee einladen würde, das nicht weit vom Friedhof entfernt war. Direkt neben den Tischen des Restaurants waren Strandkörbe zum Sonnen aufgestellt. Wenn es nicht zu voll sein würde, müsste Tabori aus einem Strandkorb heraus ihrem Gespräch folgen können, ohne selber in Erscheinung zu treten.
    Tabori hatte keine Ahnung, dass Lisa nicht mit offenen Karten spielte.

17
    In der schmalen Kopfsteinpflasterstraße vor dem altehrwürdigen Engesohder Friedhof standen bereits dicht an dicht die Polizeiwagen, direkt vor Tabori eskortierten zwei Motorräder einen schwarzen Phaeton, der neue Polizeipräsident würde also höchstpersönlich an der Trauerfeier teilnehmen. Kopfschüttelnd beobachtete Tabori, dass nicht wenige seiner ehemaligen Kollegen Haltung annahmen und grüßend die Hand zur Mütze hoben, als der Phaeton an ihnen vorüberschlich. Lisa musste es auch gesehen haben, verzichtete aber auf einen Kommentar.
    Tabori fummelte seine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach, es war nicht nötig, dass ihn jemand erkannte, dennoch zeigte ihm Carlos grinsend das Peacezeichen, als sie den flammenbemalten VW-Bus passierten. Zum ersten Mal registrierte Tabori, dass der Bus als Kennzeichen die Buchstabenkombination H-PW hatte, er war sich sicher, dass das nur auf Carlos’ und Ulrikes Mist gewachsen sein konnte, nicht mal die Leute von der zentralen Fahrzeugausgabe würden so bescheuert sein, einen Zivilwagen als »Polizeiwagen« zu kennzeichnen.
    Ein paar Meter vor dem Haupteingang hielt Tabori an und ließ Lisa aussteigen. In ihrem schwarzen Kostüm wirkte sie seltsam seriös, sie hatte deutlich Mühe, auf den hochhackigen Schuhen über das unebene Pflaster zu kommen. Tabori fand dennoch, dass ihr die Verkleidung ausgesprochen gut stand. Vielleicht sollten sie abends mal zusammenins Theater oder ins Varieté gehen, er war lange mit keiner Frau mehr ausgegangen, die unweigerlich die Blicke auf sich zog, er war eigentlich mit gar keiner Frau mehr unterwegs gewesen. Ich werde sie fragen, wenn wir den Fall hinter uns haben, dachte er. Aber Lepcke will ich nicht dabei haben, nur sie und ich, und vielleicht nehmen wir dann noch einen Absacker in Harry’s Bar in der alten Pelikan-Fabrik, da wollte ich immer schon mal hin, auch wenn mir das Publikum wahrscheinlich auf den Wecker geht, aber mit Lisa könnte es Spaß machen …
    Er wendete und fuhr zurück, diesmal war es Ulrike, die ihm heimlich zuwinkte, Lepcke konnte er nirgends entdecken. Für einen kurzen Moment überlegte er, ob er den Wagen parken und einen Spaziergang über den Friedhof machen sollte, während die anderen auf der Trauerfeier waren. Auf der Engesohde lag so gut wie alles begraben, was in Hannover jemals Rang und Namen gehabt hatte, früher war Tabori oft hier gewesen und zwischen den Gruften und steinernen Engeln umhergewandert. Am besten hatte ihm jedes Mal der unerwartet schlichte Grabstein von Kurt Schwitters gefallen, der auf der Rückseite die Inschrift trug: »Man kann nie wissen.« Irgendwie hatte er immer gefunden, dass dieses Motto sich auch perfekt als Leitsatz für die polizeiliche Ermittlungsarbeit eignen würde. Wenn ich jemals Kinder gehabt hätte, dachte er, hätte ich sie mit dem

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