Lola Bensky
Revolution –«, sagte Lola, beendete den Satz aber nicht.
Brian Jones saß zurückgelehnt auf der Bank. Er schien im Koma zu sein oder zu schlafen. Sie stieß ihn erneut an. Er rührte sich nicht. Sie rückte ihn ein wenig näher zu sich heran, um ihn aufrecht zu halten, bis jemand kam und ihn abholte. Sie hoffte, dass er rechtzeitig für dieses Konzert wiederhergestellt war, schließlich war er extra dafür aus England gekommen.
Lola war bestürzt, dass Brian Jones ohnmächtig geworden war. »Er ist bloß stoned«, sagten die Typen, die ihn abholten. »Woher wisst ihr, dass er nicht einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall hatte?«, fragte Lola.
»Er ist stoned«, sagten die Typen, die Brian Jones wegtrugen, noch einmal zu Lola. Lola ging zurück ins Zentrum des Parks. Ein Mann mit einem gelben Porkpie-Hut lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück. Ein Mädchen, das sich Kirschen über die Ohren gehängt hatte und eine Schale Karotten trug, bot Lola eine Karotte an. Sie nahm eine. Irgendetwas passierte. Irgendetwas veränderte sich. In der Luft lag ein Glücksgefühl, das beinahe ansteckend wirkte.
Vor der Bühne waren Hunderte Reihen von Klappstühlen aufgestellt. Viele der siebentausend Sitzplätze waren bereits besetzt. Lola hatte einen Presseausweis. Das bedeutete, dass sie in einer der ersten vier oder fünf Reihen sitzen konnte. Sie quetschte sich an ein paar Leuten vorbei und setzte sich ein wenig nach links versetzt in die Mitte der Reihe.
Lola schaute nach links. Zu ihrem Entsetzen saß Mama Cass zwei Plätze weiter. Sie hatte nichts gegen Mama Cass,
doch sie wollte nicht so nahe neben jemandem sitzen, der so dick war. Nur wenige Menschen waren so dick. Wenn jemand so dick war, drehten die Leute sich um und starrten. Lola hoffte sehr, dass sie nicht so dick war wie Mama Cass.
Sie fühlte sich mies, weil sie gerne den Platz tauschen wollte. Sie wusste, dass es sie weder dicker noch dünner machte, neben jemandem zu sitzen, der dick war. Lola sah zu Mama Cass hinüber. Mama Cass lächelte. Es war ein schönes Lächeln. Das Lächeln eines Menschen, der vollkommen mit sich im Reinen war. Ein Lächeln ohne den leisesten Anflug von Ärger oder Unzufriedenheit. Mama Cass' Lächeln stand im Widerspruch zu ihrem Körper, der zu ausladend, erschöpft und unbehaglich wirkte. Er nahm eine Menge Platz ein und bewegte sich vor ihr her, wenn sie sich umdrehte.
Lola war traurig zumute. Sie wusste nicht, warum ihr traurig zumute sein sollte. Mama Cass wirkte überhaupt nicht traurig. Sie wirkte von einem transzendentalen Glücksgefühl beseelt. Ihr zur Seite geneigter Kopf ruhte auf der Schulter eines sehr gutaussehenden blonden Mannes. Lola dachte, dass Mama Cass mit ihrem Körper offenbar mehr im Reinen war als Lola mit ihrem. Lola sah sich Mama Cass' Oberarme an und betete, dass ihre Arme nicht einmal annähernd so dick waren.
Lola warf noch einen Blick auf den blonden Mann. Ihr fiel ein, dass er Mama Cass' neuer Freund war, Lee Kiefer. Lee Kiefer hatte das Aussehen eines Filmstars. Er war groß und hatte straffe, fein geschnittene symmetrische Gesichtszüge. Er war gebräunt, schlank und muskulös. Sie gaben ein seltsames Paar ab, da Mama Cass' Gesicht vom Fett herausgebildet wurde. Es bestimmte seine Ausmaße, formte zusätzliche Flächen und verlieh ihr ein Mehrfach-Kinn.
Lola hätte am liebsten geweint. Mama Cass tat ihr leid.
Und sie tat sich selber leid. Sie musste wirklich eine Diät anfangen, dachte sie. Sie hatte sich bereits eine neue Diät ausgedacht, auf der Basis von Pfirsichen, Aprikosen, Cantaloupe-Melonen und Eiern. Sie durfte fünfmal täglich einen Pfirsich, eine Aprikose, ein Ei und eine halbe Melone essen. Zusammen ergaben das jeden Tag fünfzehnhundert Kalorien, und das verhieß eine wöchentliche Gewichtsabnahme von einem Kilo.
Die Diät war variabel. Sie konnte auch zweimal täglich zwei Pfirsiche, zwei Aprikosen, zwei Eier und eine ganze Melone essen, und dann noch einmal einen Pfirsich, eine Aprikose, ein Ei und eine halbe Melone. Das war recht viel Essen bei einer relativ geringen Kalorienzahl, und das, dachte Lola, war möglicherweise das Geheimnis einer erfolgreichen Diät. Außerdem konnte man sich die Mengen leicht merken.
Vielleicht sollte sie auch Sport machen, dachte Lola. Sie hatte es einmal versucht, mit siebzehn. Sie war mit dem Fahrrad in Renias und Edeks kleinem Garten hinter dem Haus in St. Kilda, Melbourne, immerzu im Kreis herumgefahren. Nachdem sie einige Runden
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