Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
keine Kurznachrichten wie Sofie. Außerdem reichte mein Guthaben nur noch für maximal einen Anruf. Achselzuckend stopfte ich den Zettel in meine Hosentasche. Vielleicht dachte Serdan, dass ich zwischendurch wissen wolle, wie es Mogwai ging. Aber ehrlich gesagt machte ich mir im Moment um andere Dinge mehr Sorgen. Zum Beispiel um eine dreistündige Autofahrt mit Leander in unserem Leichenwagen. Papa bestand darauf, dass wir im Leichenwagen fuhren, damit er einsatzbereit wäre, falls etwas passierte. Mir war das sogar ganz recht, denn der Leichenwagen bot weitaus mehr Platz als Mamas winziger Alfa Romeo und wir mussten nun mal eine vierte Person unterbringen, von der niemand außer mir etwas wusste.
Doch Leander machte sich deshalb jetzt schon in die Hosen. Es sei für einen Sky Patrol unzumutbar, in einem Todesmobil transportiert zu werden. Alleine hierbleiben wollte er jedoch auch nicht. Schließlich habe er den Urlaub ausgesucht und »organisiert«. Er wolle mal wieder zurück in seine gute, alte Heimat. Das habe er sich redlich verdient.
»Luzie, kommst du bitte? Wir fahren in einer halben Stunde los und es sind noch etliche Dinge zu erledigen!«, brüllte Mama betont neutral durch das Treppenhaus. Sie hatte todsicher die ganze Zeit am Fenster gestanden und Serdan und mich beobachtet.
Die etlichen Dinge, die Mama ansprach, waren: mich gemeinsam mit Leander auf meinen Koffer werfen, um die Schnallen schließen zu können, weil er der Meinung war, dass ein einziger Harry Potter-Band nicht ausreiche und zum Ausgleich Die Dornenvögel zu seinem Leseprogramm hinzugefügt werden müsse; aus Mamas Medikamentenbox Baldrian stehlen, wovon Leander sich umgehend zwei Tabletten einverleibte, um die Fahrt zu überstehen; zusätzliche Brote ins Lunchpaket schmuggeln, damit auch unser unsichtbarer Gast satt wurde; Raumspray im Leichenwagen verteilen, um den Todesgeruch zu vertreiben (der Wagen roch nicht nach Tod, doch Leander behauptete stur, ihm würde übel, wenn ich nichts gegen den Gestank unternahm); das Auto unter fadenscheinigen Vorwänden umpacken, sodass auf der schmalen Rückbank genug Platz für mich und Leander blieb.
Als wir um die Mittagszeit starteten, waren wir alle erschöpft und niemand von uns hatte Lust zu reden, selbst Leander nicht. Er saß still neben mir und drückte ab und zu seine Nase an seine Handgelenke, die er zuvor noch ausgiebig mit Armani-Duschgel eingeschäumt hatte. Die Stimmung war miserabel. Wir fuhren seit Jahren wieder gemeinsam in Urlaub, ja, genau genommen war es sogar der erste richtige Familienurlaub, denn die Sommerferien auf dem Land in Oma Annis früherem Haus zählte ich nicht mit. Aber wir machten allesamt ein Gesicht, als würden wir ins Verderben reisen. Und so kam es mir auch vor.
Deshalb zog ich die kleinen grauen Gardinen an meinem Fenster zu, lehnte meinen Kopf gegen meinen Rucksack, schloss die Augen und tat für den Rest der Fahrt so, als sei ich nicht da.
Die schwarze Brigade
»Hey! Willst du nicht langsam mal da rauskommen?«, zischte ich. Leander gab ein gequältes Seufzen von sich, rührte sich aber nicht. Noch immer hing er quer auf der Rückbank, sein Gesicht leichenblass, die Unterarme vor dem Bauch verschränkt. Allmählich machte ich mir Sorgen um ihn.
»Leander, bitte! Papa wird gleich den Wagen in eine Garage fahren und du willst den Urlaub bestimmt nicht in seinem Auto verbringen. Ich dachte, hier riecht es nach Tod.«
»Tut es auch«, hauchte Leander mit geschlossenen Augen. »Ich spüre sie … ich spüre alle, die hier drinlagen …«
»Noch ein Grund rauszukommen. Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Ich lugte prüfend zu unserem leuchtend roten Zigeunerwagen hinüber, der am Rande des großen Zeltplatzes stand, konnte Mama und Papa jedoch nicht entdecken. Dafür aber die Familie, die uns begleiten sollte. Und unser Pferd – eine riesige, dicke Kaltblutstute namens Chantal, die desinteressiert Heu mampfte und uns bislang keines Blickes würdigte.
Mama hatte sie ausgiebig gestreichelt, nachdem sie uns vom Reiseorganisator als »une madame très jolie« vorgestellt worden war, aber sie hatte nicht einmal ihren mächtigen Kopf aus der Futtertraufe gezogen. Stattdessen pupste sie laut, hob den Schweif an und ließ einen gigantischen Haufen Pferdeäpfel auf das Gras fallen. Papa konnte im letzten Moment gerade noch zur Seite springen, um seine frisch gewienerten Schuhe zu retten. Danach hatte ein scheintoter elsässischer Bauer uns gezeigt, wie wir
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