Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
fallen hörte, ehe er zu Alice hinübersah. Sie hatte den Oberkörper zum Fenster gedreht. Doch als lese sie seine Gedanken, sah sie über die Schulter zu ihm hin und schüttelte langsam den Kopf. Nur diesmal sah sie nicht gequält aus. Diesmal wirkte sie besorgt, und er wusste, dass er wahrscheinlich Riesenärger mit ihrem Anführer bekam, mit diesem beschissenen so genannten Seelsorger. Wie wollte der ihre Seelen retten, wenn er nicht mal seine Scheißhände bei sich behalten konnte?
19. KAPITEL
Sonntag, 24. November,
Hyatt Regency Crystal City,
Arlington, Virginia
Maggie sah wieder auf ihre Armbanduhr. Ihre Mutter kam eine Viertelstunde zu spät. Okay, manche Dinge änderten sich nie. Sofort tadelte sie sich für diesen Gedanken. Schließlich versuchte ihre Mutter, sich zu ändern. Ihre neuen Freunde schienen positiven Einfluss auf sie auszuüben. Seit über einem halben Jahr hatte es keine Anfälle von Trunkenheit oder misslungenen Selbstmordversuche mehr gegeben. Das war so etwas wie ein Rekord, trotzdem blieb Maggie skeptisch.
Ihre Mutter verließ Richmond kaum, doch in letzter Zeit reiste sie jede Woche an einen anderen Ort. Ihr Anruf gestern Abend hatte sie überrascht, besonders, da er aus dem Crystal City Hyatt kam. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihre Mutter das letzte Mal in der Stadt gewesen war. Sie hatte ihr erzählt, sie sei wegen einer Gebetsversammlung oder so etwas hier. Einen Moment hatte sie befürchtet, sie sollte zu dieser Gebetsgeschichte eingeladen werden. Inzwischen fragte sie sich allerdings, warum sie geglaubt hatte, ein Frühstück mit ihrer Mutter sei weniger beklemmend. Warum hatte sie nicht einfach abgesagt?
Sie nippte an ihrem Wasser und wünschte, es wäre Scotch. Der Kellner lächelte sie vom anderen Ende des Restaurants an, eines dieser mitfühlenden Lächeln, das besagt: Tut mir Leid, dass Sie warten müssen. Sie nahm sich vor, Rühreier mit Schinken und Toast und anstelle des Orangensafts einen Scotch zu bestellen, falls ihre Mutter nicht bald auftauchte.
Sie faltete ihre Serviette zum dritten Mal und hätte sich gern die Erschöpfung aus den Augen gerieben. Sie hatte nur etwa zwei Stunden geschlafen und immer wieder die auftauchenden Bilder von Delaney bekämpft. Wie sie Beerdigungen hasste! Nicht mal Abbys unschuldige Akzeptanz des väterlichen Todes hatte verhindern können, dass ihre Erinnerungen ihr den Schlaf raubten.
In dem Albtraum, der sie schließlich geweckt hatte, warf sie in einem endlosen erschöpfenden Vorgang Händeweise Erde in das dunkle Grabloch. Als sie schließlich über den Grabrand blickte, sah sie, wie sich die Erde blitzschnell in Maden verwandelte, die über das Gesicht ihres Vaters wuselten. Seine offenen Augen starrten sie an, und er trug diesen lächerlichen braunen Anzug, und die Haare waren wieder falsch gekämmt.
Maggie verdrängte blinzelnd diese Bilder und schaute sich nach dem Kellner um. Es hatte keinen Sinn, länger auf den Scotch zu verzichten. In dem Moment sah sie ihre Mutter das Restaurant betreten. Zuerst hatte sie sie übersehen und die attraktive Brünette im marineblauen Mantel mit rotem Schal gar nicht erkannt. Als die Frau ihr zuwinkte, musste sie zweimal hinsehen. Ihre Mutter trug gewöhnlich absurde Kombinationen, die zeigten, wie wenig sie sich aus ihrem Äußeren machte. Doch was sich da ihrem Tisch näherte, war jeder Zoll eine kultivierte Dame der Gesellschaft.
„Hallo, Süße“, sagte die Erscheinung in einem milden Ton, den Maggie ebenfalls nicht kannte, obwohl eine vertraute Rauheit der Stimme geblieben war, die von einem Zweierpack pro Tag stammte. „Du solltest mein Zimmer sehen!“ fügte sie mit einer Begeisterung hinzu, die die Scharade komplettierte. „Es ist riesig! Reverend Everett war so freundlich, uns gestern Abend hier absteigen zu lassen. Er ist einfach zu gut zu Emily, Stephen und mir.“
Maggie konnte kaum eine Begrüßung murmeln, ehe ihre Mutter sich an den Tisch setzte und der Kellner bereits zu ihnen kam.
„Möchten die Damen den Morgen mit einem Saft, mit Kaffee oder lieber einem Mamosa beginnen?“
„Wasser genügt mir vorerst“, sagte Maggie und wartete gespannt, ob ihre Mutter das Angebot des Kellners, vor dem Mittag Alkohol zu trinken, annahm. Die frühe Stunde hätte sie in der Vergangenheit nicht davon abgehalten.
„Ist das Leitungswasser?“ Kathleen O’Dell deutete auf Maggies Glas.
„Ich denke, ja. Ich bin mir aber nicht sicher.“
„Könnten Sie mir bitte ein
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