Marlene Suson 3
gehandelt.
„Dann habe ich deine Reaktion völlig falsch verstanden“, bekannte Stephen, „und ich bin sicher, Daniela auch.“
Morgan stieß einen Fluch aus und fuhr sich ratlos mit den Fingern durchs Haar.
Jerome, der sich gerade einen Cognac einschenkte, schaute auf. „Du mußt sofort nach London, Morgan.“
„Wieso?“
„Um den Freibrief vom König zu bekommen. Du mußt ihm begreiflich machen, daß du es warst, der die Jakobiterverschwö- rung hat auffliegen lassen. Und du mußt deine Belohnung kas- sieren, bevor ihm wieder andere Ausflüchte einfallen, um dir den Freibrief zu verweigern.“
Morgan wußte, daß Jerome recht hatte, doch er wollte hier- bleiben, um die Dinge zwischen Daniela und ihm ins reine brin- gen zu können. Würde sie je wieder ein Wort mit ihm sprechen, nachdem er sich heute abend so aufgeführt hatte?
Das mußte er sofort klären. Er lehnte das Glas ab, das Jerome ihm anbot, und verließ die Bibliothek.
Er fand den Butler in der Halle. „Wo ist Lady Daniela, Dobbs?“
„Sie ist vor einer Minute ins Pfarrhaus geritten.“
„Doch hoffentlich nicht in diesen Männerkleidern?“
„Nein, Mylord. Sie hat ihr braunes Reitkleid angezogen.“
Morgan nickte beifällig. Das hatte sie sicher getan, um den Pfarrer nicht zu schockieren. Vermutlich wollte sie Nell Briggs den Tod ihres Mannes schonend beibringen. „Ist Lady Daniela allein weggeritten?“
„Das hatte sie vor, Mylord, aber Ihr Reitknecht Ferris hat darauf bestanden, sie zu begleiten.“
Guter Ferris, dachte Morgan dankbar und beschloß, ihr nicht nachzureiten. Er wollte nicht hineinplatzen, während sie Mrs.
Briggs in ihrem Kummer tröstete. Er konnte es zwar kaum ab- warten, mit ihr zu reden, aber er mußte sich gedulden, bis sie zurück war.
Es war schon nach Mitternacht, als Daniela durch eine Seiten- tür ins Haus schlüpfte und sich todmüde die Hintertreppe hin- aufschleppte. Sie war so erschöpft, daß sie kaum noch gerade gehen konnte.
Trotzdem mußte sie am nächsten Morgen nach London auf- brechen, um ihren kranken Vater zu besuchen. Sie fürchtete sich davor, ihm von den Ereignissen zu berichten, aber noch schlimmer wäre es für ihn, wenn er von anderer Seite davon er- fuhr.
Daniela betrat ihr Zimmer, in dem nur eine Kerze auf der Kom- mode brannte, und begann sofort, sich auszuziehen. Sie nahm ihren Hut ab und schlüpfte aus der Reitjacke. Als sie gerade ihre Bluse aufknöpfte, spürte sie, daß sie beobachtet wurde. Sie schaute auf und entdeckte in einer dunklen Ecke eine Gestalt in einem Sessel.
„Morgan!“
„Oh, bitte nicht aufhören“, sagte er mit einer auffordernden Geste. „Es fing gerade an, höchst interessant zu werden.“
Bei seinem Anblick setzte Danielas Herzschlag fast aus. Er wirkte gar nicht mehr wütend. Im Gegenteil, um seine Mund- winkel zuckte es übermütig. Er hatte sein Jabot abgelegt und die oberen Hemdknöpfe geöffnet.
Dann fiel ihr ein, wo sie war. „O Gott, Morgan, du kannst doch nicht einfach hier hereinkommen.“
„Nein?“ Er grinste jungenhaft. „Wie du siehst, bin ich aber hier.“ Er erhob sich lässig. In diesem Augenblick erinnerte er sie an einen Löwen, der zum Sprung auf die Beute ansetzt. „Wir müssen miteinander reden, Daniela.“
Sie dachte daran, wie zornig er vorhin gewesen war, und schon flammte auch ihr Zorn auf. „Wir haben nichts zu bereden, und ich lege nicht den geringsten Wert darauf, noch mehr von dir beschimpft zu werden.“
„Ich habe nicht die Absicht, dich zu beschimpfen“, gab er zurück und legte ihr die Hände auf die Arme. „Ich bin dir sehr dankbar, meine tapfere Räuber-Lady, daß du mir heute abend das Leben gerettet hast.“
Daniela erbebte bei der Erinnerung – und unter der Sanftheit
seiner Berührung. „Ich dachte, ich könnte niemals auf einen Menschen schießen.“ Ihre Stimme zitterte.
„Nicht einmal auf Basil? Nach all dem Kummer, mit dem er dein Leben vergiftet hat?“
„Nicht einmal auf ihn. Aber als ich sah, daß er dich in den Rücken schießen wollte, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als dich zu retten. Und trotzdem wollte ich ihn nicht ernstlich verletzen, sondern ihn nur beim Zielen stören.“
„Dem Himmel sei Dank für deine blitzschnelle Reaktion, sonst wäre ich inzwischen ohne jeden Zweifel mausetot.“
„Warum warst du dann so wütend auf mich?“
„Ich war nicht wütend auf dich, Daniela.“ Zärtlich strich er ihr über die Wange. „Ich war entsetzt und verärgert. Ich
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