Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
oder bloß Glück gehabt hätte.
Die Ektogene waren fort, drüben auf der anderen Seite des Teichs. Sie war allein am Strand, Simon irgendwo unter ihr. Es war hart, mit so etwas Verbindung zu halten.
Ein Mann kam über die Dünen auf sie zu. Er war klein; und sie dachte zuerst, es wäre Sax, dann Cojote. Aber er war keiner der beiden. Er zögerte, als er sie sah, und an dieser Bewegung erkannte sie, daß es tatsächlich Sax war. Aber ein im Aussehen stark veränderter Sax. Vlad und Ursula hatten an seinem Gesicht soviel kosmetische Chirurgie vorgenommen, daß er nicht mehr wie der alte Sax aussah. Er wollte nach Burroughs gehen und dort mit einer biotechnischen Firma zusammenkommen mit Benutzung eines Schweizer Passes und einer von Cojotes viralen Identitäten. Er ging wieder zum Terraformen. Ann blickte hinaus aufs Wasser. Er kam heran und versuchte, mit ihr zu reden. Er sah jetzt nicht wie Sax aus, sondern hübsch, ein netter alter Tolpatsch. Aber es war noch der alte Sax, und sie wurde so ärgerlich, daß sie kaum denken konnte und von einer Sekunde zur anderen nur schwach behielt, worüber sie sprachen.
»Du siehst anders aus«, war alles, an was sie sich erinnerte. Trivialitäten dieser Art. Wenn sie ihn ansah, dachte sie: Er wird sich nie verändern. Aber sein neues Gesicht hatte einen erschreckend betroffenen Ausdruck, etwas Tödliches, das es heraufbeschwören könnte, wenn sie ihm nicht Einhalt gebieten würde ... Und so diskutierte sie mit ihm, bis er zum letztenmal eine Grimasse zog und wegging. Sie saß lange da, wurde kälter und zerstreuter. Endlich legte sie den Kopf auf die Knie und fiel in eine Art Schlaf.
Sie hatte einen Traum. Alle Ersten Hundert standen um sie herum, die Lebenden und die Toten. Sax mit seinem alten Gesicht und jener neuen Miene des Kummers in ihrer Mitte. Er sagte: »Nettogewinn in Komplexität.«
Vlad und Ursula sagten: »Nettogewinn in Schönheit.«
Hiroko sagte: »Nettogewinn in Schönheit.«
Nadia sagte: »Nettogewinn in Güte.«
Maya sagte: »Nettogewinn in emotionaler Intensität.« Und hinter ihr rollten John und Frank die Augen.
Arkady sagte: »Nettogewinn in Freiheit.«
Michel sagte: »Nettogewinn in Verständnis.«
Von hinten sagte Frank: »Nettogewinn in Macht«, und John stieß ihn mit dem Ellbogen an und rief: »Nettogewinn in Glück!«
Und dann starrten alle Ann an. Und sie stand auf, bebend vor Wut und Angst. Sie erkannte, daß allein sie unter ihnen überhaupt nicht an die Möglichkeit des Nettogewinns von irgend etwas glaubte und daß sie eine verrückte Reaktionärin war. Alles, was sie tun konnte, war, daß sie mit dem Finger auf sie zeigte und sagte: »Mars, Mars, Mars.«
An diesem Abend erwischte sie nach dem Essen in dem großen Versammlungsraum Cojote allein und sagte: »Wann gehst du wieder hinaus?«
»In ein paar Tagen.«
»Bist du immer noch bereit, mich diesen Leuten vorzustellen, über die du gesprochen hast?«
»Ja, gewiß.« Er sah sie mit geneigtem Kopf an. »Das ist es, wo du hingehörst.«
Sie nickte bloß. Sie sah sich in dem Gemeinschaftsraum um und dachte: Lebwohl, Lebwohl! Gott sei Dank ist es weg!
Eine Woche später saß sie mit Cojote in einem ultraleichten Flugzeug. Sie flogen in den Nächten nach Norden in das Äquatorgebiet und dann weiter zu der Großen Böschung, zu den Deuteronilus Mensae nördlich von Xanthe - einem wild zerklüfteten Gelände, wo die Mensae wie ein Archipel von Inselgruppen ein Sandmeer punktierten. Das würde ein echter Archipel werden, dachte Ann, als Cojote zwischen zwei Inseln landete, wenn das Pumpen im Norden weiterging.
Cojote ging auf einem kurzen Streifen aus staubigem Sand herunter und rollte in einen Hangar, der in die Seite einer Mesa hineingegraben war. Als sie ausstiegen, wurden sie von Steve, Ivana und einigen weiteren Leuten begrüßt und in einem Aufzug auf eine Etage direkt unter dem Gipfel der Mesa gebracht. Das nördliche Ende dieser Mesa hatte eine scharfe Felsenspitze, worin ganz oben ein großer dreieckiger Versammlungsraum ausgehöhlt war. Als sie hineinging, blieb Ann überrascht stehen. Eine Menge Leute, mindestens mehrere hundert, saßen dicht gedrängt an langen Tischen, beugten sich vor und gossen sich gegenseitig Wasser ein zu Beginn eines Mahles. Die Menschen an der einen Tafel sahen sie und hielten inne. Dieser Effekt verbreitete sich durch den ganzen Raum, als die anderen sie bemerkten. Schließlich waren alle still. Dann stand einer auf und noch einer, und nach und
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