Nachtsafari (German Edition)
beunruhigende Gefühl, sie stünde auf einem hohen Berg, im Sonnenschein, Blumen um sie herum, und sähe auf ein Land hinab, ein fremdes, dunkles Land, das un ter einer drohenden Wolke lag. Sie presste ihre Hände auf die Augen, um dieses erschreckende Bild zu verscheuchen. »Davon hört man bei uns aber nichts«, flüsterte sie.
Niemand kommentierte diese Bemerkung.
9
M it letzter Kraft war Scotty in sein Haus gestolpert.
»Herrgott, Scott!«, schrie Kirsty beim Anblick des blu tenden Armstumpfes und wurde kalkweiß.
»Schwarze Mamba«, keuchte er mühsam, da ihm inzwischen das Atmen schwerfiel. »Serum im Kühlschrank, schnell! Alle Ampullen. Ruf Hilfe!« Er stolperte an ihr vorbei durch sein kleines Wohnzimmer und fiel aufs Sofa, wo er mit geschlossenen Augen nach Luft rang, aber noch so viel Instinkt besaß, seinen Armstumpf auf die Lehne hochzulegen, damit nicht noch mehr Blut herauspumpte, bevor er das Bewusstsein verlor.
Kirsty rannte zur Küche, rief dabei über Funk den Manager des Reservats an, betete, dass er noch im Büro war, weil sie seine Privatnummer nicht kannte. Aber sie hatte Glück. »Scotty … Schwarze Mamba«, stieß sie atemlos hervor, als er sich meldete.
»Bleiben Sie am Gerät, ich leite Sie weiter«, sagte der Mann.
Adrenalin schoss ihr durch die Adern. »Er hat …« Sie musste trocken schlucken, ehe sie fortfahren konnte, weil ihr die Zunge am Gaumen klebte. »Er hat sich die Hand abgeschnitten«, wisperte sie heiser vor Aufregung ins Funkgerät, während sie die Kühlschranktür aufriss. Der Plastikbehälter mit der Notfallausrüstung stand auf dem obersten Regal. Sie zog ihn heraus, aber er entglitt ihrer schweißnassen Hand, fiel auf den Boden und rutschte unter den Vorratsschrank. Das Funkgerät fest umklammernd, warf sie sich auf die Küchenfliesen und fischte den Behälter hervor. Im Funkgerät knackte es, die Stimme des Arztes drang durch.
»Was soll ich machen?«, schrie sie noch im Liegen.
»Klaren Kopf bewahren. Machen Sie den Notfallkasten auf.«
Sie blieb einfach auf dem Boden sitzen und öffnete den Kasten. Der Arzt erklärte ihr Schritt für Schritt, was sie tun sollte, und unter dem Einfluss seiner ruhigen Stimme legte sich das Zittern ihrer Hände, sodass sie es schaffte, die Ampullen mit dem Gegengift aus dem Notfallbehälter zu nehmen, mit seiner Anweisung eine zu köpfen und den Inhalt in eine Spritze aufzuziehen. Dann stemmte sie sich hoch, rannte ins Wohnzimmer. Scotts Gesicht war leichenblass und schweißüberströmt, sein Atem kam rau und unregelmäßig.
»Okay, ich bin bei ihm.«
»Hören Sie gut zu. Sie injizieren entweder in die Haut oder in den Muskel, drücken langsam die Spritze herunter, bis sie leer ist. Dann ziehen Sie gleich die nächste auf und wiederholen das, bis alle Ampullen aufgebraucht sind. Eigentlich müsste das Serum intravenös gegeben werden, aber das sollte nur jemand machen, der eine dementsprechende Ausbildung hat. Wo sitzt der Biss?«
»Das … das kann ich nicht sehen«, stotterte sie. »Es muss in der Hand gewesen sein, die hat er abgehackt.« Tränen liefen ihr übers Gesicht.
»Okay«, kam die besonnene Stimme aus dem Funkgerät und beschrieb ihr präzise, wo sie zu injizieren hatte.
Sie tat, was er ihr sagte, und schilderte auf seine Frage hin Scotts Zustand. »Er kann nicht mehr ordentlich sprechen, seine Augenlider hängen herab und … und er atmet sehr schwer. Ich glaube, er hat das Bewusstsein verloren.« Ihre Stimme verriet die aufsteigende Panik.
»Puls? Fühlen Sie am Hals nach. Direkt unterm Ohr.«
Kirsty ertastete ein Flattern. »Schnell, aber spürbar.«
»Das ist gut«, sagte der Arzt. »Halten Sie ihn absolut ruhig. Wir sind gleich da, und so lange bleibe ich am Funkgerät. Ich lasse Sie nicht allein.«
Kirsty klammerte sich mit einer Hand an das Gerät wie an den sprichwörtlichen rettenden Strohhalm, mit der anderen hielt sie Scotts und verbrachte die längsten und fürchterlichsten Minuten ihres bisherigen Lebens. Scotts keuchende Atemzüge wurden flacher und seltener, und mit jeder atemlosen Pause stieg ihre Verzweiflung. Sie presste seine Hand an ihre Wange und betete leise.
Es dauerte einen Moment, ehe sie den großflächigen Blutfleck auf seiner Hosentasche wahrnahm. In dem Glauben, dass er dort eine weitere Verletzung hatte, zog sie die Tasche auseinander, konnte aber nichts erkennen und griff hinein. Ihre Finger fühlten etwa Nasses, Glitschiges. Instinktiv packte sie zu und beförderte das
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