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Nur dein Leben

Nur dein Leben

Titel: Nur dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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einem Computer zum nächsten. Sie zu lesen brachte ihn jedes Mal zum Lächeln, machte ihn aber auch traurig.
    Ich bin jetzt sechsunddreißig und habe noch nicht ein verdammtes Ziel auf meiner Liste erreicht!
    Besonders große Gewissensbisse hatte er, weil er seine Mutter vernachlässigte. Als Einzelkind fühlte er sich in hohem Maße für sie verantwortlich. Als er achtzehn war, kurz bevor er an die Universität in Uppsala ging, hatte sie wieder geheiratet, einen verwitweten Schulinspektor, der die
högstadiet
 – die Mittelschule – besucht hatte, an der sie Mathematik unterrichtete. Der ruhige, aber nette Mann war praktisch in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von Johns Vater. Fünf Jahre später starb er an einem Herzinfarkt und seitdem hatte Johns Mutter allein gelebt. Mit Klauen und Zähnen verteidigte sie ihre Unabhängigkeit, obwohl sie aufgrund einer Netzhautablösung allmählich erblindete.
    Als Kind hatte John Science-Fictions verschlungen und ständig irgendwelche Theorien und Fragen im Kopf gehabt. Theorien darüber, warum wir existierten oder wie bestimmte Wirbeltiere oder Insekten ihre charakteristischen Merkmale erworben hatten. Fragen dahingehend, warum sich zum Beispiel die gewöhnliche Ameise oder die Kakerlake seit Millionen Jahren nicht weiterentwickelt hatten, während andere Lebewesen, etwa die Menschen, in der Evolution immer weiter fortgeschritten waren. Warum hatten die Gehirne mancher Tiere vor Hunderttausenden von Jahren aufgehört zu wachsen? Lag es daran, dass ein großes Gehirn beim Überleben eher hinderlich als vorteilhaft war? Würde sich die Menschheit irgendwann selbst zerstören, gerade weil die Evolution sie zu intelligent für ihr eigenes Wohlergehen gemacht hatte?
    Oder – wie er bei seiner Arbeit herauszufinden versuchte – riskierten die Menschen die Selbstzerstörung, weil sie die technische Entwicklung so schnell vorantrieben, dass ihr Gehirn nicht mehr Schritt halten konnte? Brauchten sie vielleicht einen bedeutenden Evolutionsschub, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben?
    Weder er noch Naomi hatten in der Nacht zuvor richtig geschlafen. Dieselben Fragen, die sie schon hundertmal diskutiert hatten, gingen ihm jetzt erneut durch den Kopf. Ja, natürlich waren sie sich darüber einig, ihrem Sohn jeden Vorteil zu verschaffen, den sie sich selbst von ihren eigenen Eltern gewünscht hätten. Doch andererseits wollten sie nicht, dass er sich zu sehr von anderen Menschen unterschied und dadurch vielleicht keine normalen sozialen Beziehungen aufbauen konnte.
    Und darin lag das eigentliche Problem. Dettore drängte sie unablässig zu weiteren Veränderungen, um ihren Sohn auf eine Art und Weise zu optimieren, von denen nicht einmal John gewusst hatte, dass sie bereits medizinisch durchführbar waren. Und einige dieser Aussichten waren tatsächlich verführerisch. Mein Gott, wenn sie wollten, konnten sie Luke zu einem unglaublichen Menschen machen!
    Nein danke.
    Luke sollte nicht zu einer Laborratte werden, deren Leben man gnädig mit einer Spritze beenden konnte, falls sie sich nicht so entwickelte wie erhofft.
    Er wollte nicht mit dem Leben seines Sohnes spielen. Dennoch hatte ihn in der Nacht die Erkenntnis gequält, dass jedes Kind genau das war, ein Wagnis, ein willkürliches genetisches Würfelspiel. Dettore bot ihnen an, die Risiken zu begrenzen, nicht, sie zu erhöhen. Würden sie ihren Sohn zu einem zweitklassigen Leben verdammen, wenn sie auf Nummer sicher gingen?
    Das Gerät piepte und das Display zeigte an, dass eine weitere Minute um war. Hier auf dem Schiff trainierte er noch härter als zu Hause. Er versuchte mit allen Mitteln, sich in Topform zu bringen. Insgeheim wusste er, warum er das tat, konnte es sich aber nicht offen eingestehen.
    Ich will, dass mein Kind stolz auf mich ist. Ich will, dass es einen fitten Mann zum Vater hat und keinen schnaufenden alten Sesselfurzer.
    Deck C, tief unten in den Eingeweiden des Schiffes, war menschenleer.
    Johns einzige Gesellschaft bestand aus seiner eigenen Reflexion, die auf den vier verspiegelten Wänden auf und ab hüpfte, das Spiegelbild eines hochgewachsenen, schlanken Mannes in weißem T-Shirt, blauen Joggingshorts und Laufschuhen. Ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einem müden, abgespannten Gesicht und dunklen Rändern wie verschmierte Schminke unter den Augen.
    Junge Männer haben Visionen, alte Männer Träume.
    Dieser verdammte Spruch ging ihm im Rhythmus seiner hämmernden Schritte gebetsmühlenartig

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