Panther
Er hatte keine Ahnung, ob es so einen Titel überhaupt gab – er hatte den Überblick über die verschiedenen Folgen verloren.
»Jugendfrei?«
»Natürlich jugendfrei, Mom«, sagte Marta.
»Um Punkt halb elf bin ich wieder hier. Seid pünktlich.«
»Tschüss, Mom«, sagte Marta ungeduldig.
»Geld habt ihr genug?«
»Bis später, Mom!«
Nick und Marta fühlten sich mies und heimlichtuerisch bei dieser Lügengeschichte über den Kinobesuch, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig – niemals hätten ihre Eltern ihnen erlaubt, das Haus von Mrs. Stark auszuspionieren, schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit.
»Laut Routenplaner sind es bloß 3,8 Kilometer«, sagte Nick und studierte die Karte, die er ausgedruckt hatte. Mrs. Starks Adresse hatte er von Libby, die im Arbeitszimmer ihres Vaters die Adressenliste des Lehrerkollegiums gefunden hatte.
»Ich versteh nicht, wie ich die Taschenlampe vergessen konnte«, sagte Marta.
Nick hatte eine in der Jackentasche. »Gehen wir«, sagte er, und beide machten sich über den weiträumigen Parkplatz auf in Richtung Straße.
Bald lagen die hellen Lichter des Einkaufszentrums hinter ihnen. Nick und Marta hielten sich genau an die Routenbeschreibung – erst fünf Blocks bis zum Mockingbird Court, dann sieben Blocks zum Crackle Drive. Als sie die Straße erreicht hatten, in der Mrs. Stark wohnte, sagte Nick: »Von hier müssen wir immer weiter nach Westen, bis es nicht mehr weitergeht.«
Marta lachte. »Das gibt’s doch nicht! Der alte Bussard wohnt allen Ernstes im Buzzard Boulevard – das passt ja perfekt!«
»Das allerletzte Haus«, sagte Nick. »Nummer 777. «
»Was sonst!«
Als der Bürgersteig aufhörte, gab es auch keine Straßenlaternen mehr. Während Nick und Marta auf dem nicht befestigten Weg weitergingen, wurde es zunehmend dunkel. Nick zog die Taschenlampe hervor.
»Und außer ihr wohnt kein Mensch hier draußen?«, fragte Marta nervös.
Sie kamen zwar an ein paar Häusern vorbei, aber die waren entweder noch im Bau, oder sie hatten kein Dach mehr und sahen verlassen aus. Vermutlich war ein Hurrikan über sie hinweggefegt. Grillen und Zikaden zirpten im Wald, begleitet von dunkleren Lauten, die vielleicht von Kaninchen oder Waschbären stammten. Jedes Mal, wenn Nick etwas hörte, richtete er den Strahl seiner Lampe in den Wald, um zu sehen, was da war, doch im selben Moment rührten sich die Tiere nicht mehr und blieben unsichtbar zwischen den Kiefern oder im Gebüsch.
Nick beruhigte Marta, sie müsse keine Angst haben, doch auch er selbst war schreckhafter als sonst. Normalerweise wanderte er gern, aber so durch die Dunkelheit zu laufen war eine völlig andere Erfahrung.
»Tu mir einen Gefallen und nimm diese Binde ab«, sagte Marta.
»Wieso?«
»Weil du beide Arme brauchen wirst, um mich zurück in die Stadt zu tragen, wenn ich gleich umkippe.«
»Du kippst schon nicht um.«
»Nein. Vermutlich bin ich vor lauter Angst sofort tot«, antwortete Marta. »Weil ein wütender Bär hinter uns her ist.«
»Oder ein Panther«, versuchte Nick, Marta mit einem Scherz aufzuheitern.
»Hör bloß auf.«
Immer wieder drehten beide sich um und hielten Ausschau, ob sich vielleicht Scheinwerfer näherten, doch auf dem Buzzard Boulevard herrschte Friedhofsruhe. Nick überlegte, ob er mit dem so unbequem auf den Rücken gebundenen Arm wohl genauso schnell wie sonst rennen könnte.
»Wie weit noch?«, fragte Marta.
Nick wusste es nicht. Die Strecke kam ihm weiter vor, als er nach der Karte geschätzt hatte, und er legte einen Schritt zu. Der weiße Strahl der Taschenlampe hüpfte vor ihnen auf und ab. Mond und Sterne verbargen sich hinter einer dichten Wolkenschicht. Als ein kleines Tier über die Straße huschte, stieß Marta einen kurzen Schrei aus und packte Nick am Arm. »Das war eine echt idiotische Idee«, sagte sie. »Lass uns zurückgehen.«
»Psst, wir sind da.«
Seine Taschenlampe strahlte einen schlichten Briefkasten aus Metall an, auf dessen Seite dreimal die Sieben prangte. Ein Name fehlte jedoch.
»Wo ist denn das Haus?«, fragte Marta.
»Hier geht’s lang.« Nick führte Marta auf einen überwachsenen Pfad, der nicht breiter war als ein Auto. Fast wäre er auf eine Kutscherpeitschennatter getreten, doch zum Glück schlängelte sie noch schnell in den Schatten davon, bevor Marta sie bemerkte. Am Ende des Wegs duckte sich Nick. Marta kniete sich hinter ihn.
Das Haus von Mrs. Stark stand ganz allein mitten auf einer Lichtung. Nick
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