Philippas verkehrte Welt
nicht.
»Also wartest du nicht, hab ich recht?«
Ich schniefte wortlos vor mich hin.
»Okay.« Jona räusperte sich. »Es muss dir nicht peinlich sein. Ob duâs glaubst oder nicht, ich hab auch schon mal geheult. Und ich weià genau, wie es ist, wenn man einen Freund verliert. Ich hatte nämlich auch mal einen. Er hieà Felix. Mit ihm konnte ich über alles reden und er hat jeden Scheià mitgemacht.«
Jonas Worte blieben eine Weile zwischen uns in der Luft hängen. Er sagte nichts mehr, und ich sagte auch nichts, obwohl mir klar war, dass jetzt ich an der Reihe war. Doch blöderweise strömten mir mittlerweile nicht mehr nur die Tränen aus den Augen, sondern auch der Rotz aus der Nase. Ich wäre eher tot umgefallen, als Jona ins Gesicht zu sehen.
»Ich hol dir jetzt ein Taschentuch«, sagte er nach ein paar weiteren Sekunden Schweigens.
Jona entfernte sich schnell und lautlos und ebenso schnell und lautlos war er nach kurzer Zeit auch schon wieder da. Er reichte mir ein Papiertaschentuch, das ich hastig ergriff. Ich wischte mir über die nass geweinten Lider und schnäuzte mir gründlich die Nase, bevor ich mich traute, Jona anzusehen.
Er hielt noch ein ganzes Päckchen Taschentücher in der Hand. »Geht es dir besser?«
Ich nickte.
»Was ist mit Felix passiert?«, krächzte ich.
»Er ist weggezogen«, sagte Jona. »Leider ziemlich weit weg.«
»Und wohin?«
»Nach Kalifornien. Die Firma seiner Mutter hat dort ein Tochterunternehmen gegründet und ihr die Leitung einer wichtigen Abteilung angeboten.«
»Hast du ihn dort mal besucht?«, fragte ich.
»Ich wollte«, erwiderte Jona. »Felixâ Eltern haben mich sogar eingeladen. Aber so ein Flug ist ziemlich teuer. Mein Vater konnte das nicht bezahlen.«
Oh ja, das Gefühl, für irgendetwas nicht genügend Geld zu haben, kannte ich nur zu gut!
»Wann ist er denn weggezogen?«
»Vor über einem Jahr.«
»Und ihr habt gar keinen Kontakt mehr?«
Jona zuckte die Achseln. »Na ja, manchmal schreiben wir uns übers Chat. Aber das ist eher selten. Natürlich hat Felix einen Haufen neuer Freunde gefunden. Er spielt Baseball und spricht perfekt Englisch. Da kann ich nicht mehr mithalten.«
»Dann geht es dir so wie mir«, gab ich zurück. »Ich kann mit Mariel auch nicht mehr mithalten. Sie findet meine selbst gestrickte Mütze, mein Perlen-T-Shirt und mein altmodisches Handy peinlich. Na egal«, setzte ich abwinkend hinzu, »das ist mittlerweile sowieso kaputt.«
»Echt?«, fragte Jona.
»Mhm. Ich hab es vor Wut an die Wand geschmissen. Danach war es hin.«
Jona blähte die Backen. Irgendwie wirkte er irritiert. »Ich meinte eigentlich Mariel. Also, ich hätte nie gedacht â¦Â« Er brach ab und machte eine unwillige Geste, bevor er seine Hände in die Hosentaschen schob und sich neben mich an die Wand lehnte.
»Was?«
»Na, dass Mariel so ist â¦Â«
Jona presste die Lippen aufeinander und wich meinem Blick aus. Und mit einem Mal zündete ein Feuerwerk der Erkenntnis in meinem Gehirn: Jona hatte nicht geschwindelt. Er hatte den Porsche tatsächlich nicht bemerkt, weil er SIE gesehen hatte. Er hatte Mariel hinterhergeschaut!
»Du hast sie gern«, stellte ich überrascht fest.
Jona nickte. Noch immer konnte er mich nicht angucken. Dann hob er die Schultern und seufzte tief. »Na ja, sagen wir eher mal, ich hatte â¦Â«
Unzumutbare Erwartungen
Nach der Schule begleitete Jona mich in die MarillenstraÃe. Auf der Fahrt dorthin erzählte ich ihm alles. Von meinem Streit mit Mariel. Von unserem Hals-über-Kopf-Umzug. Von der seltsamen Frau von Helsing und ihrer eingebildeten Zickentochter Celia. Und natürlich auch von Nneka und Ayo und meinem Gefühl, dass Frau von Helsing sowohl die afrikanische Familie als auch uns nur deshalb in ihrem Gästehaus wohnen lieÃ, weil Nneka und ich im gleichen Alter wie Celia waren.
»Kapierst du, Jona, sie sucht krampfhaft Freundinnen für ihre bescheuerte Tochter«, versuchte ich ihm klarzumachen. »Mit Nneka hat es nicht geklappt und jetzt bin ich an der Reihe.«
»Komisch«, sagte Jona und tippte sich an die Schläfe. »Dass manche Leute echt denken, sie könnten sich für Geld alles kaufen.«
Er folgte mir durch den Torweg in den Innenhof und blickte staunend in die knospende Krone der Kastanie
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