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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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auf. Eine Weile hörte man das Geräusch der Flügel, dann verschwand es in der Ferne. Falls Coblentz etwas ahnte, würde er Christian die Waffe an die Schläfe halten und Sylvia zum Reden zwingen.
    »Du hast fünf Sekunden Zeit, uns die Kassette zu geben, oder deine Freundin stirbt«, sagte Coblentz.
    »Ich schwöre, dass sie hier gewesen ist«, sagte Christian wahrheitsgemäß. Wo hatte Sylvia die Kassette hingebracht? Wenn Coblentz sie erschoss, würde sie das Geheimnis mit ins Grab nehmen. Oder hatte sie die Kassette jemandem ausgehändigt und Anweisungen dazu gegeben? Das waren jetzt sinnlose Fragen. Sollte Coblentz glauben, dass die Kassette aus dem Versteck gestohlen worden war, hätte er keine Hemmungen, Sylvia und Christian zu ermorden. Andererseits würde er das Risiko, Christian zu töten, vielleicht nicht eingehen, solange die Möglichkeit bestand, dass er die Kassette anderswo versteckt hatte. Außerdem durfte die Kassette nicht einem zufälligen Finder in die Hände geraten.
    »Deine Zeit läuft ab«, sagte Coblentz.
    Ohnmächtige Wut überkam Christian. »Nur zu«, zischte er zwischen den Zähnen hindurch. »Bring uns nur um, wenn dir das hilft, an die Kassette zu kommen. Bitte sehr.«
    Er deutete mit dem Finger auf seine Stirn und machte einen Schritt auf Coblentz zu. Dieser nahm die Pistole von Sylvias Schläfe und richtete sie auf Christian. Christian ging immer näher heran, bis seine Stirn den Lauf berührte. Die Berührung des Metalls war eiskalt.
39
    Christian hielt den Atem an. Er glaubte, das Herz würde ihm jeden Moment aus der Brust springen. Waren das die letzten Kontraktionen, bevor die Schläge für immer verstummten? Oder hatte er Coblentz richtig eingeschätzt? Er starrte auf den Finger des Amerikaners auf dem Abzug und sah übertrieben scharf den sorgfältig geschnittenen Fingernagel und die Härchen auf dem Fingerrücken. Sein Blick glitt nach oben in die Augen von Coblentz, an denen nichts abzulesen war. Konnte sich das Böse so perfekt verbergen?
    Nach Sekunden, die eine Ewigkeit zu dauern schienen, sagte Coblentz: »Gehen wir.« Er nahm die Waffe von Christians Stirn und wischte dessen Schweiß vom Lauf. Christian spürte tiefe Erleichterung und triumphierte sogar innerlich, obwohl er wusste, dass dieser Erfolg nur vorübergehend war. Was hatte Coblentz vor? Christian versuchte auf dem Weg zum Auto einen Blick auf Sylvia zu erhaschen. Er musste herausfinden, wo sich die Kassette befand. Aber die betont ruhig gehende Frau sah stur vor sich hin und ermöglichte Christian keinerlei Blickkontakt. Warum wich sie ihm in so einer Situation aus?
    Beim Auto verband man ihnen die Augen. Sylvia musste sich auf die hinterste Bank legen, Christian auf die mittlere. Neben beiden nahm ein bewaffneter Mann Platz. Erst im Wagen löste sich Christians Anspannung, worauf seine Muskeln zu schlottern begannen. Er versuchte zu verfolgen, in welche Richtung sie fuhren, aber das war unmöglich. Er kannte die Gegend nicht gut genug.
    Durch die Kurven, die Anstiege und Abfahrten wurde ihm zunehmend schlechter. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, er befürchtete, sich übergeben zu müssen. Dann aber wurde die Straße gerade und die Übelkeit ließ wieder nach. Die Fahrt nahm und nahm kein Ende. Christian musste an den Blick von Coblentz denken, als dieser Klein getötet hatte. Professor Hagen hätte diesen Blick sehen müssen. Der geachtete Neurologe hatte sich der Erforschung der biologischen Gründe für aggressives Verhalten gewidmet. Der biologischen Gründe des Bösen ... Einst hatten seine Erkenntnisse auch Christian fasziniert, jetzt kamen sie ihm geradezu absurd und lächerlich vor. Verabreichte man aggressiven Ratten eine Aminosäure namens Tryptophan, nahm die Menge an Serotonin in ihrem Gehirn zu, und sie verhielten sich weniger angriffslustig. Hagen hatte vorgeschlagen, den Serotoningehalt von Gewaltverbrechern zu untersuchen und einen geringen Wert als mildernden Umstand anzusehen.
    Dieser Gedanke löste bei Christian erneut Übelkeit aus. Nur ein verrückter Forscher, der die Welt allein vom Labor aus betrachtete, konnte auf die Idee kommen, dass man das Böse durch medikamentöse Behandlung verhindern konnte und dass Kriminelle kranke Menschen waren. Wohin würde es führen, wenn man die Menschen nicht für ihre Taten zur Verantwortung zog? Das würde den moralischen Entscheidungen den Boden entziehen, die den Menschen erst zum Menschen machten.
    Christian war in der Drogenforschung auf

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