Saturn
Rechten. Grapefruit und
Limonen hatten sie bereits hinter sich, und sie näherten sich
nun Äpfeln, Birnen und Pfirsichen. Die Bäume standen Spalier
wie bei einer Militärparade.
Cardenas war am Tag zuvor im Habitat angekommen. Nun
schien sie baff. »Ich habe seit so vielen Jahren keinen Baum
mehr gesehen…« Sie drehte sich mit erhobenem Kopf um und
lachte. »Keinen einzigen Baum, seit ich Selene verlassen habe,
und ihr habt hier gleich einen ganzen Wald! Es ist fast wie in
Kalifornien!«
»Es gibt wohl keine Bäume auf Ceres?«, fragte Holly.
»Keinen einzigen«, erwiderte Cardenas mit einem
glücklichen Lächeln auf ihrem jugendlichen Gesicht. »Nur in
hydroponischen Tanks.«
»Wir haben auch hydroponische Farmen«, sagte Holly, »als
Rückversicherung für den Fall, dass einmal eine Missernte
eintritt.«
»Und Bienen!«, rief Cardenas. »Das sind doch Bienen?«
»Na klar. Wir brauchen sie, um die Bäume zu bestäuben. Die
Stöcke befinden sich in diesen weißen Kisten dort drüben.«
Holly deutete auf eine Ansammlung rechteckiger weißer
Kästen, die zwischen den Bäumen standen. »Würden Sie es für
möglich halten«, fragte sie lachend, »dass eins meiner größten
Probleme darin bestand, ein paar Imker zu finden.«
Cardenas schaute mit diesen strahlend blauen Augen zu ihr
auf. »Wissen Sie, man weiß überhaupt nicht, wie sehr man
offene Räume und Bäume und… sogar Gras vermisst, um
Himmels willen. Nicht, bis man so etwas wie das hier wieder
sieht.«
Sie gingen durch den Obstgarten in Richtung der Farmen
jenseits der Bäume. Eberly hatte Holly mit der Aufgabe
betraut, Dr. Cardenas im Habitat herumzuführen. Er nannte es
Orientierung; Holly nannte es Spaß.
Während sie die ordentlich ausgerichteten Baumreihen
entlanggingen, hörte sie zur Linken eine dünne, zitternde
Stimme. Einen Gesang.
»Wer ist das denn?« fragte Cardenas sich laut.
Holly schlüpfte unter den tief hängenden Ästen eines jungen
Pfirsichbaums hindurch und bahnte sich einen Weg zum Rand
des Obstgartens, dicht gefolgt von Cardenas.
Der Garten endete an einer irdenen Böschung, die zum
Bewässerungskanal hinunterführte. Wasser floss gemächlich
durch die trichterförmigen Betonwände des Kanals. Vor sich
sahen sie einen einzelnen Mann, der einen Arm voll Reisig
und Buschwerk schleppte und in einer hohen, kratzigen
Stimme sang. Spanisch, sagte Holly sich. Es klingt wie ein
spanisches Volkslied.
»Hallo«, rief Cardenas dem Mann zu.
Er ließ die Last fallen und schielte sie im Sonnenlicht des
späten Nachmittags an. Holly sah, dass er schon älter war.
Nein, er war wirklich alt. Er hatte einen mageren, vom Alter
gebeugten Leib, dürre Arme, schütteres, weißes Haar, das wie
ein Heiligenschein vom Kopf abstand, und einen struppigen
schlohweißen Bart. Sie hatte noch nie zuvor einen wirklich
alten Menschen gesehen. Er trug ein schmutziges Hemd, das
ursprünglich einmal weiß gewesen war ‒ die Ärmel hatte er
hochgekrempelt ‒, und eine formlose, ausgebeulte Bluejeans.
»Holal«, rief er zurück.
Die beiden Frauen gingen auf ihn zu. »Wir haben Sie singen
hören«, sagte Holly.
»Das war ein schönes Lied«, fügte Cardenas hinzu.
»Danke«, sagte der Mann. »Ich heiße Diego Alejandro
Ignacio Romero. Meine Freunde nennen mich Don Diego,
wegen meines Alters. Aber ich bin kein Adliger.«
Die Frauen stellten sich auch vor. »Sie müssen für die
Instandhaltungs-Abteilung arbeiten, nicht wahr?«, fragte
Holly dann.
Don Diego lächelte und zeigte perfekte Zähne. »Ich bin in
der Kommunikations-Abteilung beschäftigt. Auf der Erde
lehrte ich Geschichte. Oder versuchte es zumindest.«
»Und was machen Sie dann hier?«
»Der Kirche haben meine Studien der Gegenreformation und
der Inquisition nicht gefallen.«
»Nein, ich meine, wieso Sie hier draußen am Kanal arbeiten.«
»Ach das? Das ist mein Hobby. Ich versuche, eine kleine
Wildnis zu schaffen.«
Er deutete den Kanal entlang, und Holly sah, dass Büsche
und kleine Bäume halsbrecherisch an der Böschung aus
festgestampfter Erde angepflanzt worden waren. Und dann
hatte jemand hier noch ein paar recht große Felsbrocken
verstreut.
»Eine Wildnis?«
»Ja«, sagte Don Diego. »Dieses Habitat ist zu künstlich und
zu steril. Die Menschen brauchen ein natürlicheres Ambiente
als Baumreihen, die exakt in einem Abstand von zweieinhalb
Metern voneinander angepflanzt wurden.«
Cardenas lachte. »Ein
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