Susan Price

fließen. Jemand zupfte an seinem Ärmel – sein eigener Verwalter.
    »Edler Herr, ich hielt es für das Beste, Euch das persönlich zu überbringen.« In der Hand des Mannes lag ein Juwel von erlesener Schönheit: ein Drache aus Golddraht und rotem Email mit glitzerndem Auge aus Granat. »Edler Herr, Thane Alnoth schickt Euch das und –«
    »Unwin, das ist ein Drache von Huntings Schild«, unterbrach ihn Wulfweard. Er sah seinen Bruder mit angsterfüllten Augen an.
    Unwin hatte das Juwel nicht erkannt, bis Wulfweard es aussprach. Dann sah auch er, dass es in der Tat ein Beschlag vom Schild seines Bruders war. Mit gerunzelter Stirn schaute er den Verwalter an.
    »Edler Herr, der Thane sagt, er habe Neuigkeiten für Euch, und bittet um ein Gespräch. Er sagt, Ihr fändet ihn in der Halle Eures Vatersbruders.«
    Unwin blickte sofort zur Tür. Das war es also, was Athelrics Verwalter ihm gezeigt hatte! Etwas, das Hunting gehörte! Wie immer die Neuigkeiten lauten mochten, Athelric kannte sie inzwischen. »Verdammt sei dieser Thane! Warum ist er nicht zuerst zu mir gekommen?«
    »Was ist denn?«, fragte Wulfweard.
    Unwin schritt schnell zur Tür und forderte Wulfweard wütend auf, ihm zu folgen. Der Junge fragte noch einmal: »Was ist geschehen?«
    »Wenn ich die Zeichen richtig deute«, sagte Unwin, als sie aus dem Dunkel des Götterhauses ins helle Tageslicht getreten waren, »so ist Hunting tot.«
    Nach dem Ritt vom Götterhaus gingen sie die letzten Schritte zu Fuß. Unwin beeilte sich, denn er war sich sicher, dass seine Worte zutrafen. Tief in seinem Inneren fühlte er, wie Wut, eiskalte, rachsüchtige Wut, in ihm aufstieg. Andererseits dachte er: Jetzt muss ich mir nie wieder Gedanken machen, ob ich dir trauen kann, Hunting.
    Ein Mann lief ihnen entgegen. Es war Wulfweards Verwalter. Er versuchte, um Entschuldigung bittend, Wulfweard an den Rand des Weges zu ziehen. Doch dann drehten er und Wulfweard sich verblüfft um, denn Unwin lachte schallend. Nur wenige Schritte vor ihnen stand Huntings Verwalter und schaute bestürzt drein, als Unwin auf ihn deutete und lachte.
    »Ihr habt auch je einen wie diesen?«, fragte Unwin und hielt seinen Drachen hoch, der im Sonnenlicht glitzerte. »Ihr beide.«
    Huntings Verwalter kam, öffnete die Hand und zeigte einen Drachenbeschlag. Wulfweards Verwalter wies einen dritten vor. Beide überbrachten die gleiche Botschaft von Thane Alnoth.
    »Kommt«, sagte Unwin. »Wir gehen zu unserem Vatersbruder und leugnen alles mit eiserner Stirn.«
    Thane Alnoth war in Athelrics privaten Gemächern oberhalb der Halle. Er saß auf einem Schemel neben dem eisernen Kohlenbecken und hielt einen wunderschönen Pokal aus grünem Glas, gefüllt mit köstlichem Wein. Er war mehr als nervös. Der Verwalter hatte ihn höflich gebeten, die Waffen in der unteren Halle zu lassen, zusammen mit seinen Reisigen. Jetzt war er hier ohne Unterstützung oder Schutz mit Athelric zusammen, dem Bruder des toten Königs und wahrscheinlich dem designierten neuen König.
    Athelric saß ihm gegenüber in einem Armsessel und lächelte, doch dieses Lächeln machte Alnoth keineswegs glücklich. Er war sich allerdings ziemlich sicher, dass ihm keine unmittelbare Gefahr drohte. Schließlich hatte auch er einen gewissen Rang. Nicht einmal ein König konnte einen Thane ermorden, ohne dass es zu einem Schrei der Entrüstung gekommen wäre. Er hatte Athelric die Reste des Schilds und des Helms gebracht. Diese lagen jetzt dem Atheling zu Füßen. Eigentlich müsste ihm das eine Belohnung einbringen, nicht aber ihn gefährden. Tatsächlich lag zu Alnoths Füßen jetzt ein sehr schöner, mit Pelz gefütterter Umhang, den Athelric sofort von seinen eigenen Schultern genommen und dem Lehnsherrn gereicht hatte, als er Alnoths Neuigkeiten gehört hatte. »Als einen kleinen Teil der Belohnung, welche du dafür verdienst.« Aber die Zeiten mussten noch sehr viel ruhiger werden, ehe Alnoth sich in der Gegenwart eines Athelings wohlfühlen würde.
    Schritte ertönten auf der Holztreppe vor der Tür. Dann öffnete sich die Tür, und die anderen Athelinge, Unwin und Wulfweard, wurden hereingeleitet. Alnoth stand schnell auf, da er sie aus der Zeit kannte, als er früher in die königliche Residenz gerufen worden war: Unwin, den älteren, hochgewachsen, kräftig, mit harten Gesichtszügen, und den jüngeren, hübschen Wulfweard.
    Auch Athelric hatte sich erhoben, um sie zu begrüßen, und streckte ihnen den Drachen entgegen, den Alnoth