Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
sah er ihr noch einen Moment lang in die Augen, und dann schloss er die Hand um das Kreuz und wandte den Blick ab. Sein Herz pochte so laut, dass er glaubte, sein Vater, der neben ihm kniete, müsse es hören. Aber sein Vater hatte die Augen geschlossen und die Hände gefaltet, um zu beten.
    Ig Perrish und Merrin Williams achteten darauf, einander während der Messe nicht mehr anzuschauen. Oder, um genau zu sein, sie schauten einander nicht mehr ins Gesicht. Allerdings war Ig sich bewusst, dass sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, und er tat das Gleiche. Ihm gefiel es, wie sie aufstand, um mit durchgedrückten Schultern zu singen. Ihr Haar loderte im Licht, das durch die Fenster fiel.
    Father Mould segnete die Gemeinde und forderte sie auf, einander zu lieben, und genau das gedachte Ig zu tun. Während die Leute hinausdefilierten, blieb Ig, wie immer die Hand seines Vaters auf der Schulter, wo er war. Merrin Williams trat in den Mittelgang, dicht gefolgt von ihrem Vater, und Ig hatte erwartet, dass sie stehen bleiben und sich bei
ihm bedanken würde, dass er ihr Kreuz geborgen hatte. Aber sie sah ihn nicht einmal an. Stattdessen blickte sie zu ihrem Vater hoch und unterhielt sich mit ihm. Ig wollte sie schon ansprechen - doch da fiel sein Blick auf ihre linke Hand und auf den Zeigefinger, der in Richtung Altar deutete. Es war eine so beiläufige Geste, dass es aussah, als hätte sie nur leicht den Arm bewegt, aber Ig war sich sicher, dass sie ihm signalisierte, er solle dort auf sie warten.
    Als der Mittelgang frei war, trat Ig beiseite und ließ seinen Vater, seine Mutter und seinen Bruder vorbei. Aber anstatt ihnen zu folgen, wandte er sich um und ging in Richtung Altar und Kanzel. Als seine Mutter ihm einen fragenden Blick zuwarf, deutete er auf die Tür, hinter der sich die Toilette befand. Er konnte nicht dauernd so tun, als müsste er sich die Schuhe binden. Lydia legte die Hand auf Terrys Arm, und beide gingen weiter. Terry kniff die Augen zusammen und sah ihn argwöhnisch an, ließ sich aber davonführen.
    Ig wartete in der düsteren Diele, die zu Father Moulds Büro führte, und hielt nach dem Mädchen Ausschau. Obwohl sie recht bald zurückkam, war die Kirche schon fast leer. Sie schaute sich im Kirchenschiff um, konnte ihn aber nicht sehen, und er blieb ihm Schatten und beobachtete sie. Sie ging zum Tabernakel, zündete eine Kerze an, bekreuzigte sich und kniete nieder, wie um zu beten. Das Haar fiel ihr ins Gesicht, und Ig glaubte nicht, dass sie ihn sehen konnte, als er vortrat. Er hatte überhaupt nicht das Gefühl, auf sie zuzugehen. Seine Beine gehörten jemand anderem. Eher schien er getragen zu werden, als befände er sich wieder auf dem Einkaufswagen; er verspürte das Schwindel und Übelkeit erregende Gefühl, einem Abgrund entgegenzurasen, vom Rand der Welt zu stürzen - alles zu riskieren.
    Er wartete ab, bis sie den Kopf hob und ihn ansah.

    »Hallo«, sagte er, als sie aufstand. »Ich habe dein Kreuz gefunden. Du hast es liegen lassen. Als ich dich letzten Sonntag nicht gesehen habe, habe ich mir schon Sorgen gemacht, ich könnte es dir vielleicht nicht zurückgeben.« Er streckte die Hand aus und hielt es ihr hin. Sie nahm das Kreuz und die feingliedrige Goldkette entgegen und betrachtete sie.
    »Du hast sie repariert.«
    »Nein«, sagte Ig. »Das war mein Freund Lee Tourneau. Er kann so was ziemlich gut.«
    »Ach ja?«, sagte sie. »Sag ihm vielen Dank von mir.«
    »Das kannst du ihm selbst sagen, wenn er noch da ist. Er geht auch in die Kirche hier.«
    »Hilfst du mir, es anzulegen?«, fragte sie. Sie wandte ihm den Rücken zu, hob ihre Haare an und senkte den Kopf, so dass er ihren weißen Nacken sehen konnte.
    Ig rieb sich die feuchten Hände an der Brust ab, öffnete das Kettchen und legte es ihr behutsam um den Hals. Hoffentlich sah sie nicht, dass seine Hände zitterten.
    »Du bist Lee schon mal begegnet«, sagte Ig, um irgendetwas zu sagen. »Er saß hinter dir, als die Kette kaputtging.«
    »Der war das? Der hat versucht, es mir wieder anzulegen, nachdem es gerissen ist. Ich dachte, er will mich erdrosseln.«
    »Es ist dir doch nicht zu eng, oder?«, sagte Ig.
    »Nein«, antwortete sie.
    Er wollte ihm nicht gleich gelingen, die Schließe mit der Kette zu verbinden. Daran waren seine nervösen Hände schuld. Sie wartete geduldig.
    »Für wen hast du eine Kerze angezündet?«, fragte Ig.
    »Für meine Schwester.«
    »Du hast eine Schwester?«

    »Nicht mehr«, sagte sie, und es

Weitere Kostenlose Bücher