Tier zuliebe
versteckt gewesen. Man kann die Wurst also nur essen, wenn man nicht darüber nachdenkt, was in ihr steckt. Das soll schon Otto von Bismarck erkannt haben. Er hat die Gesetzgebung mit der Wurstherstellung verglichen: »Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.«
Die Ingredienzien der Wurst sind aber nicht nur ekelig, sie können auch gefährlich sein – wie zu den Hochzeiten von BSE. Die Kulmbacher Bundesanstalt für Fleischforschung, das Landwirtschafts- und das Gesundheitsministerium warnten schon 1996 vor den Gefahren des sogenannten »Separatorenfleischs«. Das klingt nicht nur scheußlich, sondern ist es auch: »Separatorenfleisch« ist Resteverwertung. In einer Art Waschmaschinentrommel wird auch die letzte Fleischfaser vom Knochen abgekratzt. Bei diesem Vorgang konnte in BSE-Zeiten auch infektiöses Rückenmark in den Wurstbrei geraten.
Diese kleine Recherche soll reichen, um keinen Gedanken mehr an die Weißwürste in meinem Kühlschrank zu verschwenden. Sie werden verschwinden, einfach nicht mehr da liegen – früher oder später. Tatsache ist: Sie landen im Müll. Das Verfallsdatum ist abgelaufen. Natürlich auch nicht vorbildlich. Jedes Jahr schmeißen die Deutschen Lebensmittel im Wert von 10 Milliarden Euro auf den Müll, schätzen Konsumforscher. Andererseits wäre es auch keine Alternative gewesen, sie aufzuessen.
Wie sag ich’s meinem Freunde?
Da ist er wieder. Mein Freund ist von seiner Südamerikatour zurück. Da die Internetverbindung zum »Sajama«, dem mit 6542 Metern höchstem Berg Boliviens, bisher nicht ganz so gut ausgebaut ist, ahnt er noch nichts von meinem neuen, vegetarischen Leben. Und somit auch seinem – jedenfalls an den Wochenenden, da wir eine Fernbeziehung führen. Gemeinsames Kochen gehört dann zu unseren Highlights und Fleisch und Fisch zu einem guten Essen dazu, darüber bestand bisher Einigkeit. Zudem ist mein Freund ein begeisterter Hobbykoch, der sich gerne aus allen möglichen Rezeptbüchern Anregungen holt und dann doch seine eigenen Kreationen zaubert – häufig mit überraschendem Ergebnis. Wenn ich mal frage: »Wie stand es denn im Rezept?«, bekomme ich meist einen halb mitleidsvollen, halb verächtlichen Blick zugeworfen. »Rezept – wer hält sich denn an so was? Das ist doch nur was für Anfänger.« Tja, in gewisser Weise sind wir jetzt genau das: Anfänger. Wir sind Anfänger im vegetarischen Kochen – sofern er nicht schlagartig die Beziehung mit mir beendet, wenn ich ihm erst mal von der Wende in unser beider Leben erzählt habe.
Ich setze also ganz vorsichtig an: »Du, sag mal … meinst du, wir könnten das mit dem Fleischessen ein bisschen einschränken?« – »Klar, warum nicht?«, antwortet er. »Aber so viel essen wir doch gar nicht.« – »Ja, schon«, meine ich. »Aber ich würde gerne mal gar keines mehr essen.« – »Ja, bitte, mach doch«, sagt er und sieht noch kein Problem. Erst als ich ihm klarmache: »Dann kann ich aber auch nicht mehr mit Fleisch kochen. Und wenn du Fleisch machst, kann ich es nicht essen«, dämmert ihm allmählich, dass auch er betroffen ist. Er sieht ein bisschen nachdenklich aus. »Wie lange?«, fragt er nun recht nüchtern und ich gestehe: »Ach, nur so eine kleine Weile … für ein Jahr?« Er runzelt die Stirn. Nach schier endlosen Sekunden kommt die erlösende Antwort: »Okay.«
Wow. Ich hatte nicht erwartet, dass das so einfach werden würde. »Okay.« Er wird nicht nur hinnehmen, dass ich kein Fleisch mehr esse, was ausschließlich meine Sache wäre, sondern erklärt sich bereit, in meiner Anwesenheit auch auf Fleisch zu verzichten, d.h. mit mir und für mich an den Wochenenden vegetarisch zu kochen. Was für eine Erleichterung, denn mit so viel Kooperation habe ich nicht gerechnet. Zehn Minuten später steht er lässig mit hochgekrempeltem Hemd im Türrahmen und liest mir Rezepte aus einem indischen Kochbuch vor, das seit Jahren unbeachtet in seiner Küche steht. Er schwärmt von einem hervorragend klingenden Curry, fragt dann aber doch noch einmal mit unschuldigem Lächeln: »Ist Hühnchen eigentlich auch Fleisch?«
Wir planen an diesem Tag ein anderes Curry. Es besteht im Wesentlichen aus Kichererbsen. Auf dem Freiburger Markt kaufen wir gleich Zutaten für ein weiteres Abendessen. Ich bin zum ersten Mal als Vegetarierin hier und zum ersten Mal muss ich an den Wurstständen vorbeigehen. Wie immer liegt der ganze Markt unter der zuvor erwähnten
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