Tim (German Edition)
Held. Niemand kann glauben, was er auf dem Schwebebalken anstellt. Außerdem hat er in seinem Brief vergessen zu erwähnen, dass er am Boden einen neuen Vereinsrekord aufgestellt hat. Am Pferd ist er inzwischen so gut, dass alles was er macht, wie ein Kinderspiel aussieht. Beim Sprung muss er noch ein bisschen an sich arbeiten, denn sein Timing stimmt noch nicht ganz. Aber ich bin mir sicher, dass Tim auch dieses Problem lösen wird.
Seine olympischen Ambitionen sind keine kindlichen Träumereien, sondern ausgesprochen realistisch. Er könnte als Turmspringer bereits 2004 teilnehmen, aber das zieht er nicht einmal in Betracht. Warum nicht? Ich hoffe, dass du dich durch den Grund nicht unter Druck gesetzt fühlst, aber ich möchte es direkt sagen: ohne dich wird es für Tim keine Olympischen Spiele geben. Ich unterstütze das, was allerdings für Tim keine Rolle spielt. Das ist mal wieder so eine seiner nicht verhandelbaren Positionen.
Wir sehen auch Hal von Zeit zu Zeit. Tim schaut oft bei seinen Läufen zu. Er ist darin fast genauso erfolgreich wie Tim in seinen Sportarten.
Liebe Grüße,
Norman
Ich dachte lange darüber nach, was ich in meiner Antwort schreiben sollte. Im Endeffekt wurde mein Brief eine Kombination aus Glückwünschen, Bewunderung und meiner Liebe. Ich erzählte ihm von meinem Besuch bei Ronnie und seiner Familie und schickte meinen Dezember-Brief, Nummer 15, ab.
Kapitel 40: Tim
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Ich kam noch immer nicht darüber hinweg, dass Ronnie Zeit mit Charlie verbringen durfte, während ich mich dreieinhalb Jahre lang mit Briefen zufrieden geben musste. Ich fand das wirklich richtig unfair. Er fehlte mir so, besonders bei meinen Wettkämpfen. Klar, Tina war klasse und ihre Unterstützung bedeutete mir viel, aber sie war eben nicht Charlie. Anfangs hatte ich mir Sorgen gemacht, ob sie nicht doch versuchen könnte, Charlie‘s Platz einzunehmen, aber das tat sie nicht. Sie war immer für mich da, ohne mehr zu erwarten, als ich ihr geben konnte. Sie war einfach nur eine tolle Unterstützung.
Ich machte mir auch Sorgen, dass Charlie einsam sein könnte. Nun, ich war mir sicher, dass er einsam war. Ich war es auch, obwohl ich Tina hatte. Gegen die Sehnsucht nach Charlie konnte sie auch nichts tun. Vielleicht sollte ich ihm vorschlagen, dass er sich auch mal um sein Sexleben kümmern sollte? Vielleicht mal eine Frau zur Abwechslung? Wer dein Ding anfasst ist ziemlich egal. Es reagiert immer. Also warum nicht?
Trotz der witzigen Experimente mit Tina, die wirklich Spaß machten, war ich mir nach wie vor hundertprozentig sicher, dass ich schwul bin. Daran konnte auch sie nichts ändern.
Mein Leben war nach wie vor stressig, aber ich konnte mich nicht beschweren. Ich liebte jede einzelne Minute davon. Vor allem, weil es mich von meinen Gedanken an Charlie ablenkte. Die regionalen Gymnastik-Wettkämpfe standen bevor und mein Coach hatte wieder eine Vorführung auf dem Schwebebalken organisiert. Lustig, oder? Er war doch anfangs so dagegen, dass ich auch nur eine Minute damit verbrachte. Vielleicht würde er ja auch endlich zur Vernunft kommen? Ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Ich hatte jedenfalls eine Menge zu tun, da ich mein Programm für diesen Tag ändern und erweitern wollte. Das ließ mir nicht sonderlich viel Zeit, Charlie zu vermissen. Wahrscheinlich war das auch gut so.
Kapitel 41: Charlie
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Im Januar erreichte mich ein überraschender Anruf von Norman. Betsy und er würden am kommenden Wochenende nach Chicago fahren, um Freunde zu besuchen. Sie wollten bei mir in Rockford vorbei fahren und sich mit mir treffen. Ich sagte selbstverständlich zu. Ihr Versuch, mich mit einem guten Steak zu bestechen, war zwar nicht nötig, aber ich nahm die Einladung gerne an. Norman hatte Tim seine Pläne verschwiegen und bat auch mich darum, vorerst nichts über ihren Besuch zu erzählen. Ich stimmte nur widerwillig zu, da ich mich unwohl dabei fühlte, etwas hinter Tim‘s Rücken zu machen. Die nächsten Tage verbrachte ich damit, zu überlegen, was der Grund für ihren Besuch sein könnte. Wie sehr ich auch nachdachte, ich kam nicht darauf. Als der Freitag näher rückte, wurde ich ein bisschen nervöser, aber die Aufregung war wie weggeblasen, als ich Norman und Betsy die Tür öffnete und sie mich wie einen lange verschollenen Freund begrüßten.
Wir setzten uns und plauderten ein wenig. Tim und Carl waren zuhause geblieben und Betsy war davon überzeugt, dass Tina und auch Carl‘s
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