Tod in Garmisch
genauso unangenehm werden wie er, wenn ich das Gefühl habe, dass
jemand versucht, mich zu veralbern.«
»Das glaub ich Ihnen aufs Wort«, sagte Magdalena.
Andi drehte sich um. Er und Kant tauschten einen
Blick, während Andi stumm weiter das Glas polierte. Kant nickte beschwichtigend,
bevor er sich wieder Magdalena zuwandte.
»Orlowsky hat mir zu verstehen gegeben, dass er
erfreut wäre, wenn er Ihren Bruder nicht so bald wiedersähe«, sagte er. »Er
sollte also möglichst umgehend aus Frankfurt verschwinden. Das ist Teil der
Abmachung.«
»Ja. Gut. Das wird er tun.«
»Ich weiß«, sagte Kant. »Ich habe es ihm selbst
gesagt.«
SECHS
Als Schwemmer
Schafmanns Büro betrat, stand der Kollege mit schräg gelegtem Kopf am Fenster
und sah auf die Straße. Er drückte den rechten Zeigefinger ins Ohr, dann zog er
ihn wieder heraus. Die Bewegung wiederholte er ein ums andere Mal.
Schwemmer setzte
sich und sah ihm schweigend zu, bis Schafmann sich zu ihm umdrehte.
»Tinnitus«, sagte
er. »Unangenehm. Es piepst. Un - un -terbrochen.«
Die Art, wie Schafmann
»ununterbrochen« sagte, ließ Schwemmer an ein Gedicht über einen Kühlschrank
denken, aber er hielt es für ratsam, es nicht zu zitieren.
» Sehr unangenehm«, fuhr Schafmann fort. »Man denkt, es käme von draußen …«, er zog
den Finger aus dem Gehörgang, »… aber wenn man sich das Ohr zuhält …«, er
steckte den Finger wieder hinein, »… dann merkt man: Es ist im Ohr.
Wirklich unangenehm.«
»Und seit wann hast
du das?«
»Seit dem
Aufwachen.«
»Als ich noch in
Ingolstadt war«, sagte Schwemmer, »da gab es einen Kollegen, der hatte das
auch. Der fand das absolut unerträglich.«
»Und?«, fragte
Schafmann.
»Hat sich
aufgehängt.«
»Ach komm!«
Schafmann sah ihn aufgeschreckt an.
»Aber erst nach dem
Mittagessen.«
Schafmann zog
beleidigt den Finger aus dem Ohr.
»Der Allensteiner
sagt immer noch nur den einen Satz«, sagte er. »Und er will immer noch keinen
Anwalt.«
Schwemmer rieb sich
die Augen und gähnte. »Immerhin der Erste, der zugibt zu wissen, dass Vinz
Schedlbauer tot ist.«
»Tot schon, aber
sonst will er nichts wissen. Und wenn ich je einem keinen Mord
zugetraut hat, dann ist es dieser Dünnbrettbohrer.« Schafmanns Finger wanderte
wieder zum Ohr, aber als er Schwemmers Blick auffing, zuckte er zurück.
»Ich hatte eine
interessante Lektüre heut Nacht.«
Schwemmer warf Vinz
Schedlbauers Semesterarbeit auf den Tisch. Schafmann nahm den Stapel auf. Als
er den Titel las, zog er die Brauen hoch.
»Viele Fakten«,
sagte Schwemmer. »Aber nicht nur. Vinz hat auch Legenden und Gerüchte
gesammelt. Und das ziemlich rücksichtslos.«
Schafmann blätterte langsam den Papierstapel durch.
»1973 hat sich in
Grainau ein Mädel aufgehängt, angeblich schwanger. Die Mutter hat behauptet,
ihre Tochter habe vor dem Selbstmord Max Schedlbauer beschuldigt, sie
vergewaltigt zu haben. Das war Vinz’ Großonkel. Die Schedlbauers haben sie
wegen übler Nachrede angezeigt. Und recht bekommen. … Klebt ein gelber Zettel
dran.«
Schafmann blätterte
interessiert hin. »›Eine junge Frau aus dem Umfeld der Familie Meixner …‹«, las
er. »Was soll das heißen?«
»Weiß ich nicht.
Aber Onkel Max hatte man Monate vor dem Selbstmord tot aus der Partnachklamm
geholt. Offizielles Untersuchungsergebnis: Abgestürzt.«
»Oha«, sagte
Schafmann und blätterte weiter.
»Hast du einen
Kaffee?«, fragte Schwemmer.
»Nein«, sagte
Schafmann. »Kaffee ist nicht gut bei Tinnitus.«
»Hinten sind auch
Fotos …«, sagte Schwemmer und griff zum Telefon, um Frau Fuchs um einen Kaffee
zu bitten, aber sie ging nicht ran.
Schafmann las
weiter, plötzlich begann er, hektisch hin und her zu blättern. »Abbildung 12«,
murmelte er. Schließlich legte er Schwemmer ein Blatt aus dem Anhang hin. Es
waren ein halbes Dutzend Fotos darauf, in grober Auflösung, aber doch gut
erkennbar. Schafmann tippte auf ein Porträt am unteren Rand. »Hier haben wir
das ›Umfeld der Familie Meixner‹: Das ist das Bild aus Rossmeisls Versteck.«
Schwemmer sah sich
das Foto der jungen Frau genauer an. »Wann exakt war das alles?«
»Das Mädchen hat
sich im Januar ‘73 umgebracht, Max Schedlbauer ist …«, Schafmann blätterte
erneut hin und her, »… im September ‘72 in die Klamm gestürzt.«
Erneut griff
Schwemmer zum Telefon und wählte Frau Fuchs an. Wieder nahm niemand ab.
»Wo steckt die Fuchs
denn?«
»Die ist mal kurz
nach Hause«,
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