Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)
dieses Mal kam es anders, Monot verabschiedete sich vor dem Fahrstuhl: » Heute Abend mache ich mich davon, ich schleiche mich durch den Hinterausgang, Commissaire.«
Eine Weibergeschichte, so war das in seinem Alter.
Aber der Lieutenant schien die schlechten Gedanken der Kommissarin zu erraten. » Nicht das, was Sie denken. Ich bin Bariton in einem Chor, in Saint-Sulpice, und heute Abend haben wir eine Probe. Wir singen die h-Moll-Messe von Bach.«
Bach! Warum lud er sie nicht ein? Sah er denn nicht, dass sie vor Lust starb? Nein, er konnte sich nicht einmal vorstellen, dass Viviane zu Hause Bach hörte, er musste sie für einen Fan von Star ac’, Frankreich sucht den Superstar halten. Sie ließ ihn laufen, flüsterte ihm noch zu: » Se ie n Sie vorsichtig.«
Er beruhigte sie, er habe seine Dienstwaffe dabei. Das konnte sie nicht von sich behaupten, ihre lag in ihrem Zimmer. Sie irrte durch die Lobby, hoffte, dort Gesellschaft zu finden und setzte sich schließlich an die Bar. Sie dachte an Monot, an das Sonett, stand plötzlich besorgt auf.
Wenn meine Seele das Göttliche ausspuckt,
Die harmonischen Chöre und die Frauen, zu rein …
Schnell, sie musste ihn anrufen. Das Göttliche, die harmonischen Chöre: Und er wollte eine Messe in Saint-Sulpice singen! Vielleicht war sogar Viviane die Frau, zu rein. Von einer schlechten Vorahnung ergriffen, rief sie ihn an und hörte sein Handy in ihrer eigenen Tasche klingeln: Sie hatte vergessen, es ihm wiederzugeben. Egal. Allein ging sie hinauf, allein ging sie durch den Flur, noch nie hatte sie sich so allein gefühlt wie heute Abend.
Die Einsamkeit hielt nicht lange an. Als Viviane die Magnetkarte in das Schloss ihres Zimmers einführte, spürte sie einen Hauch an ihrem Nacken. Ihre schlechte Vorahnung galt ihr selbst: José Tolosa war da, einwandfrei gekleidet in einem mausgrauen Dreiteiler.
» Heute Abend bin ich dran, Commissaire. Sie werden schön friedlich mit mir runtergehen, ohne eine Szene zu machen.«
Er setzte seine Waffe zwischen ihren Rippen an, legte einen Burberry-Trenchcoat über seinen Unterarm, um die Waffe zu verdecken, und bugsierte sie zum Fahrstuhl. Sie trat in die Lobby, Tolosa dicht hinter ihr. Ohne ein Wort zu sagen, versuchte Viviane dem Personal panische Blicke zuzuwerfen. Aber niemand bemerkte sie, nicht einmal die Wachpolizisten in der Lobby, sie interessierten sich nur für die Eintreffenden.
Tolosa ging die Avenue hinunter, schob sie immer noch vor sich her. Etwas weiter unten, Rue Raymond-Losserand, hielt der Ganove vor einem Peugeot 607, dessen Kofferraum er öffnete.
» Wo bringen Sie mich hin?«
» Zum Friedhof von Montrouge, auf das Grab meiner Mutter. Sie ist ganz einsam gestorben, ohne dass ihr Sohn ihr die Hand halten konnte. Ich will, dass Sie sie um Verzeihung bitten.«
» Ist das alles?«
» Danach lasse ich Sie auf dem Grab zurück. Sie werden wie ein Strauß Blumen sein. Toter Blumen, versteht sich. Los, einsteigen.«
Er drückte den Revolver fester in ihre Rippen und nötigte sie, in den Kofferraum zu steigen.
Bevor er ihn schloss, wollte sie Zeit gewinnen. » Neulich, in der Rue de Choisy, waren Sie das?«
» Nicht ich, zwei meiner Männer. Sie haben mich enttäuscht, das ist immer das Risiko, wenn man etwas delegiert.«
» Und die Sache mit dem Sonett– haben Sie damit was zu tun? Das hat zur selben Zeit angefangen, als Sie nach Paris zurückgekehrt sind.«
Der Blick des Gangsters wurde streng, empört. » Für wen halten Sie mich, Commissaire? Wenn ich nach Paris zurückgekehrt bin, dann nur, um mich um meine Mutter zu kümmern. Sie glauben doch nicht, dass ich das nutze, um einen kleinen Coup zu landen, nur um mein Bahnticket zu bezahlen? Ihr Fall mit dem Gedicht, wollen Sie wissen, was ich darüber denke?«
Viviane würde Tolosas Meinung zu dem Sonett nie erfahren. Sie hörte einen Knall, der Ganove öffnete den Mund, riss die Augen auf, wankte und fiel auf sie. Die Kommissarin schob die leblose Masse von sich und stand auf. Schweren Schrittes kam ein Mann mit einer Sig Sauer SP 2022 heran. Monot.
Viviane ließ Tolosa fallen und warf sich in die Arme ihres Lieutenant. Und sie weinte. Lange, denn sie wollte, dass es andauerte. Er fuhr ihr zärtlich mit der Hand durchs Haar und wiederholte: » Es ist vorbei, es ist vorbei.«
» Woher wussten Sie…?«
» Ich wusste gar nichts. Ich hatte nur bemerkt, dass Sie mein Handy behalten hatten und bin zurückgekommen, um es zu holen. Da habe ich Sie mit Tolosa
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