Totenbraut (German Edition)
von Wölfen und Dieben heimgesucht wurdest. Trag das Messer bei dir, es hat mir schon oft geholfen.“
„Danke“, flüsterte ich.
„Du hast doch sicher Angst, oder?“, wollte Dušan wissen. „Ja“, gab ich zögernd zu.
„Ich fürchte mich manchmal auch“, erwiderte er mit entwaffnender Offenheit. „Ich träume oft davon, eingesperrt zu sein oder gejagt zu werden. Und von den Fesseln. Wenn ich dann aufwache, tun mir sogar meine Handgelenke wieder weh und ich könnte heulen. Wahrscheinlich mag ich es deshalb nicht, zu lange an einem Ort zu bleiben.“
Noch nie zuvor hatte ich einen Mann getroffen, der so freimütig sprach. Es war seltsam, wie die Dunkelheit uns bloß und verletzlich machte und doch beschützte.
„Also: Weshalb wolltest du mich sehen, Jasna?“, fragte er ernst. Nun hatte er nichts mehr von einem Gaukler, was es mir umso leichter machte, ihm zu antworten.
Ich holte tief Luft und begann zu erzählen: von Marja und dem Spiegel, von den Wunden der Pferde, der Mora und von der unheimlichen Gestalt am Bach. Nur von Anica und Danilo sagte ich kein Wort.
„Über dem Gut hier liegt tatsächlich ein Fluch“, schloss ich nach einer ganzen Weile. „Und meine Familie weiß es, aber niemand sagt mir die Wahrheit. Und ich dachte, dass du mir vielleicht einen Rat geben kannst, was ich gegen den Spuk tun kann. Wenn es Marja war, die mir den Spiegel neben die Schwelle gelegt hat – und ich glaube, sie war es –, dann ... muss ich einen Weg finden, um sie endgültig zu vertreiben.“
„Das klingt übel“, murmelte Dušan nachdenklich. „Nun, wenn sie so wütend über ihren eigenen Anblick ist, dass sie gleich den Spiegel zerbricht, muss sie wohl eine wirklich hässliche Visage haben.“
„Mach dich nicht darüber lustig!“
„Ich versuche nur, dich aufzuheitern“, sagte Dušan ohne einen Funken von Spott. „Denn ehrlich gesagt wird mir hier draußen ganz anders zumute, wenn ich das höre. Für mich klingt das längst nicht mehr nach einer Heimsuchung durch eine Mora .“
„Aber wer außer einem rachsüchtigen Totengeist sollte Dinge zerstören und Blut trinken?“
„Ein Vampir.“
„Aber die würgen doch ihre Opfer zu Tode oder erdrücken sie im Schlaf !“
„Dort wo du und ich herkommen, ja“, sagte Dušan leise. „Aber hier an der Militärgrenze halten es manche Untoten wohl eher mit den grausamen Gewohnheiten von walachischen Prinzen oder türkischen Kriegsherren. Man sagt, manche der Untoten hier saugen ihren Opfern an einer Stelle unter dem Ohr mit dem Blut das Leben aus. Vor ein paar Jahren gab es einen Fall im Bezirk Kisolova in Oberungarn, da saugte ein Toter Blut. Und hier in Medveđa brach sich einmal ein junger Hajduk den Hals und kehrte als Vampir wieder. Seine Opfer hatten ebenfalls blaue Flecken am Hals. Nun – und vielleicht verschmäht diese Art von Vampir auch Pferdeblut nicht? Auch die Gestalt am Bach könnte dafür sprechen: Vampire können kein fließendes Wasser überqueren. Aber sie haben Macht über Tiere, auch über Wölfe. Manche können sich sogar in Tiere verwandeln – in Schmetterlinge oder Fledermäuse – oder sie treten in der Gestalt eines Werwolfs auf.“ Er senkte die Stimme. „Dann könnte es jeder sein. Vielleicht begegnest du ihm jeden Tag. Möglicherweise ist es sogar euer Hausherr?“
„Was soll das heißen?“
„Scht! Sei nicht so laut!“
„Das heißt, mein eigener Schwiegervater ist ein Vampir?“, flüsterte ich.
„Vielleicht will der Priester ihn deshalb nicht in der Kirche haben?“
„So ein Unsinn! Vampire ... sehen anders aus. Sie haben keine menschlichen Gefühle. Ein Wiedergänger ist nur die Hülle des früheren Menschen, die vom Teufel geführt wird, manchmal sogar nur die aufgeblasene Haut, die der Teufel mit Blut gefüllt hat. Außerdem sieht man sie ganz sicher nicht beten – und man trifft sie nicht am Tag.“
„Zumindest auf Letzteres würde ich nicht wetten. Nur weil davon nicht erzählt wird, heißt es doch nicht, dass es nicht möglich wäre, oder? Ich habe jedenfalls schon von Vampiren gehört, die lebten unter Menschen und benahmen sich wie diese. Nur in der Nacht hatten sie dämonische Macht.“
Plötzlich war mir ganz schwach zumute. Ich schwieg und umklammerte den Griff des Messers. „Dann könntest du aber auch einer sein“, wandte ich ein. „Vielleicht streunst du ja hier in Wolfsgestalt herum? Und Sivac hat nicht gebellt, als er dich sah, weil es jetzt Nacht ist und du Macht über ihn
Weitere Kostenlose Bücher