Troubles (German Edition)
einem Sessel döste), zu keinem Zeitpunkt der letzten zwei- oder dreihundert Jahre konnten die Ideale des gesitteten Lebens so bedroht gewesen sein, konnte die Kultur so gefährdet, so sehr der Auflösung nahe gewesen sein wie in diesen Tagen. Man musste ja nur die Zeitung aufschlagen …
Ein anderes Zeichen der Zeit war der verwahrloste Zustand der Felder rings um das Majestic. Im Frühjahr war nichts gesät und gesetzt worden, weil Edward mit den Bauern im Streit lag, und jetzt stand dicht das Unkraut darauf. Manchmal sah der Major elende Kinder, die ziellos über diese Felder zogen, auf ihrer kummervollen Suche nach etwas Essbarem: einem Kornhalm, der sich vom letzten Jahr selbst gesät hatte, einer vergessenen Kartoffelpflanze. Auch Edward schien dieser Anblick zu bedrücken; zwar sagte er: »Die sind verflucht nochmal selber schuld. Ich habe diesen Einfaltspinseln gesagt, was passiert, wenn sie die Felder nicht bestellen«, doch er machte keinerlei Anstalten, die Kinder fortzujagen, und einmal schickte er sogar Séan Murphy mit einer Waschbütt voller Falläpfel aus dem Obstgarten zu ihnen hin. Die Kinder ergriffen natürlich die Flucht, und so musste er die Wanne mitten auf dem Feld stehen lassen. Aber als er eine halbe Stunde später zurückkam, war sie leer.
»Manchmal frage ich mich«, überlegte der Major, »was würde geschehen, wenn man einen von diesen Schlingeln jung genug einfinge, wenn man ihm Benehmen beibrächte, ihn auf eine gute Privatschule schickte und so weiter. Meinen Sie, man sähe noch einen Unterschied zwischen ihm und dem Sohn eines Gentlemans?«
»Da könnten Sie genauso gut einen Affen in einen Anzug stecken«, meinte Edward nur.
A MRITSAR
Die Ergebnisse der Hunter-Kommission zur Untersuchung der Unruhen im Pandschab im Frühling vergangenen Jahres wurden am gestrigen Abend als Blaubuch veröffentlicht … Die militärische Karriere von General Dyer ist zu Ende. Alle Beteiligten stimmten darin überein, dass Schusswaffengebrauch unvermeidlich war. Selbst die Inder sehen ein, dass die Aufstände nicht mit anderen Mitteln niedergeschlagen werden konnten. Sie verurteilen General Dyer jedoch zum einen deswegen, weil er das Feuer ohne Vorwarnung eröffnete, und zum anderen dafür, dass er weiterfeuern ließ, als keine Notwendigkeit zu drastischen Maßnahmen mehr bestand … Sechs Monate nach einem Ereignis lässt sich leicht das Für und Wider abwägen, Anerkennung und Tadel lassen sich gewichten. Zweifellos handelte General Dyer unbedacht; aber ihm blieben wahrscheinlich etwa zwei Minuten, in denen er seine Entscheidung fällen musste. Er sah sich einem fanatischen orientalischen Mob gegenüber, den antieuropäische Hetze antrieb. Er wusste, dass die Sicherheit von Hunderten von weißen Frauen und Mädchen von ihm abhing. Er war überzeugt – ob nun zu Recht oder nicht –, dass die Zukunft Indiens auf dem Spiel stand. Deshalb befahl er, das Feuer zu eröffnen. Wir geben gern zu, dass er dabei des Guten zuviel tat. Die crawling order war schiere Dummheit. General Dyer handelte weder als Politiker noch als Moralist. Er handelte als Soldat und, was noch wichtiger war, als Anglo-Inder. Er dachte dabei an die memsahib, die geschändet worden war, und in Indien ist eine memsahib eine Heilige. Der Bericht der Hunter-Kommission wird weitreichende Konsequenzen für Indien haben. Wir würden bezweifeln, dass die Arbeit der indischen Regierung dadurch leichter wird. An die Verurteilung von General Dyer, auch wenn sie unvermeidlich und vollkommen korrekt war, wird man in Indien noch denken, wenn seine unglückliche Entscheidung längst vergessen ist
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N ACHT DES S CHRECKENS IN D ERRY
Heftige Straßenkämpfe
Bewaffnete Gruppen der Unionisten und der Sinn Féin verschanzten sich in mehreren Straßen der Stadt, und bis tief in die Nacht hallten unablässig Gewehr- und Pistolenschüsse durch das Dunkel. Unser dortiger Korrespondent übermittelte uns am gestrigen Abend telegraphisch: »Am Samstag kam es in Londonderry zu den schwersten und verlustreichsten Straßenkämpfen der letzten Zeit; es gab mehrere Todesopfer und zahlreiche Verwundete. Größter Schrecken lag während der gesamten Nacht über der Stadt. Am Sonntagmorgen wurde in großem Stile geplündert, es kam zu mehreren Fällen versuchter oder auch tatsächlicher Brandstiftung.«
C ONNAUGHT R ANGERS IN I NDIEN
Eine Reuters-Depesche aus Simla meldet, dass drei Viertel der Männer der Connaught Rangers in Jullundar den Dienst
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